Kapitalismus chinesischer Prägung

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Vor gut 80 Jahren verfasste Bertolt Brecht zusammen mit Ruth Berlaus und Margarete Steffins die Parabel »Der gute Mensch von Sezuan«. Der Inhalt ist schnell erzählt: Drei Götter suchen in der chinesischen Provinz Sezuan nach dem guten Menschen. Am Ende müssen sie feststellen, dass dessen Existenz in dieser Welt nicht möglich ist. Brecht fügte später hinzu, dass diese Sichtweise selbstverständlich für die Volksrepublik China nicht mehr zutreffe.

Wie nah doch der Augsburger Dichter bei der Wahrheit lag. Ab 2020 weiß die Partei in China, wer ein guter und ein schlechter Mensch ist. War in der Sowjetunion unter Lenin der Kommunismus das Ergebnis der Addition von Sowjetmacht und Elektrifizierung, so ist im China des 21. Jahrhunderts der Kommunismus das Resultat von Parteimacht und Digitalisierung. Bis 2020 sollen alle privaten und staatlichen Datenbanken miteinander verbunden sein, um hierdurch jegliches Verhalten seiner Bürgerinnen und Bürger zu erfassen. Das System sei bereits erfolgreich in einigen »Pilotstädten« getestet worden, hieß es dieser Tage aus Regierungs und Parteikreisen.

Jeder Mensch bekommt künftig zum Start ein Konto, das mit 1000 Punkten gefüllt ist. Er kann durch gute Taten wie beispielsweise gute Arbeit Punkte dazu erhalten, durch schlechte Taten wie etwa das Überfahren einer roten Ampel aber auch Punkte verlieren. Menschen mit hohem Punktestand werden bei der Zulassung für Schulen, sozialen Leistungen oder beim Abschluss von Versicherungen bevorzugt behandelt, wer nur wenige Punkte hat, bekommt Leistungen gestrichen, wird nicht befördert oder verliert seine Kreditwürdigkeit.

In Europa, jenem »zerklüfteten Nordwestkap Asiens« (Arno Schmidt) erblassen die kapitalistischen Führer vor Neid. Hier müssen die Versicherungen, Banken, Online-Konzerne und sonstige Brüder und Schwestern im Geiste der chinesischen Kommunisten ihre Punktesysteme (»Scoring«) unter Ausschluss der Öffentlichkeit erstellen. Der Kapitalismus chinesischer Prägung ist hier eindeutig überlegen - er schafft Transparenz!

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