Wie die Dialektik in den Tanz kam
Das Festival »euro-scene« in Leipzig startete mit Oskar Schlemmers »Triadischem Ballett«
So ausgebucht hätte Intendant Enrico Lübbe sein Theater sicher immer gerne: Bei der Verleihung des Theaterpreises »Der Faust« war vor Kurzem schon kein freier Platz mehr im Leipziger Schauspielhaus zu sichten. Und jetzt, bei der Eröffnung der 27. »euro-scene« auch nicht. Den Auftakt dieses Festivals fürs Zeitgenössische bildete freilich ein Schmuckstück der Avantgarde, dessen Original schon 95 Jahre auf dem Buckel hat - und trotzdem noch ziemlich frisch wirkt. Da das aufs Tanztheater fokussierte Festival diesmal unter der Überschrift »Ausgrabungen« steht, war das sagenumwobene »Triadische Ballett« genau das Richtige. Außerdem sind »Rekreationen« (wie man die Wiederbelebungsversuche von legendären Opernaufführungen gerne nennt) ohnehin im Trend. Für manche halten sie als Beweis dafür her, dass früher alles besser war, für andere als interessanter historischer Beleg, um die Lebendigkeit der zeitgenössischen Kunst im Vergleich zu den Ausgangspunkten der Moderne zu bewerten.
Oskar Schlemmers (1888 - 1943) Spiel mit einer ästhetischen Dreifaltigkeit - etwa der von drei Farbreihen als Gliederung, drei Tänzern oder der Dreiheit von Kostüm, Bewegung und Musik - war sein subjektiver Versuch, eine eigene Position als Künstler im Zwischenreich von darstellender und bildender Kunst zu finden. Ein Teil der fantastischen, auch heute noch faszinierenden Kostüme sind Ikonen der Moderne und werden als Museumsstücke in Stuttgart gehütet. Aber es gibt eben auch den Wiederbelebungsversuch des »Triadischen Balletts« als Gesamtkunstwerk.
Das Bayerische Juniorballett München führt jetzt in Leipzig eine Wiedereinstudierung der Choreografie vor, mit der Gerhard Bohner 1977 das verschollene Original von Oskar Schlemmer nacherfunden hat. Die stammt von Ivan Liška und Colleen Scott und ist aus dem Jahr 2014. Für die Schlemmer-Rezeption war das überhaupt ein Jahr des Durchbruchs. 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers waren auch die Urheberrechte erloschen und die berüchtigte Blockadehaltung der Nachkommen gegen einen produktiven Umgang mit dem künstlerischen Erbe Schlemmers die Grundlage entzogen. Die liebevolle Neueinstudierung, die seitdem tourt, hatte jetzt auch in Leipzig Erfolg.
Es ist ein wundersamer Abend - zumal für ein Publikum, das beim Tanz längst an expressive Körperlichkeit gewöhnt ist und bei den Kostümen oft mit Second-Hand-Orgien überflutet wird. Beim »Triadischen Ballett« erlebt man in anderthalb Stunden von beidem das genaue Gegenteil: strenge Form, gezirkelte ausgebremste Bewegungen und Kostümkreationen, die wie die Objekte eines nachgestellten lebenden Tableaus wirken.
Die Figuren, in denen die Tänzer manchmal ganz verschwinden, haben so putzig sprechende Namen wie Kugelrock, Taucher oder Hampelmann (in der gelben Reihe), Scheibenrock, Perlmuttrock oder Harlekin in Weiß (in der rosa Reihe) und Spirale, Scheibentänzer und Goldkugeln (in der schwarzen Reihe). Sie sehen auch tatsächlich so aus, wie sie heißen. Der Abstrakte, als Clou am Ende, wirkt ganz und gar wie aus einem Bild entsprungen.
In kurzen Szenen bewegen sich alle kunstvoll zu der nachkomponierten Musik von Hans-Joachim Hespos. Das ist seltsam, wirkt verblüffend modern und ist einfach schön. Schlemmer lieferte in den zwanziger Jahren zu Mary Wigmans expressiver Befreiung aus dem klassischen Bewegungskanon also gleich noch das Gegenteil einer streng formalen Künstlichkeit. Produktiv für alles, was danach kam, ist die Bewegung zwischen diesen Positionen.
Das Festival »euro-scene« läuft noch bis zum Sonntag.
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