- Wirtschaft und Umwelt
- UN-Klimakonferenz in Bonn
Der Himmel ist voll deutscher Wurst
Die Landwirtschaft der Bundesrepublik ist kein Modell für eine klimagerechte Zukunft. Teil 3 unserer Reihe »Mythos Klimaretter Deutschland«
Glyphosat im Urin, Fipronil in den Eiern und Gülle im Trinkwasser – mit dem Ruf der deutschen Landwirtschaft steht es auch ohne Klimadebatte nicht zum Besten. Nun also auch noch Mitschuld an der Erderwärmung? Leider ja.
Auf etwa ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase schätzt der Weltklimarat IPCC den Anteil der globalen Landwirtschaft. Werden Verarbeitung, Transport, Kühlung und Müllproduktion einberechnet, liegt der Wert sogar bei fast 50 Prozent. Dass auf den deutschen Agrarbereich nur etwa 7,4 Prozent der hiesigen Emissionen entfallen, liegt einerseits am abenteuerlich hohen CO2-Ausstoß der deutschen Kohle. Denn gegen den nehmen sich die jährlich knapp 70 Tonnen CO2-Äquivalente überschaubar aus. Zum anderen fehlen in dieser Rechnung die Importe von mineralischem Dünger und Futtermitteln, die zentrale Grundlage der industrialisierten Landwirtschaft sind und jeweils hohe zusätzliche Emissionen verursachen.
Tobias Haas arbeitet als promovierter Politikwissenschaftler an der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin.
Steffen Kühne ist Referent für Sozialökologischen Umbau bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Klimawandel-Treiber ist auch die Fleischindustrie. Obwohl die Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten seit Jahren stagniert, werden in Deutschland immer mehr Tiere gehalten - für den Export. Hierfür werden immer größerer Mengen Soja eingeführt, für dessen Anbau in riesigen Monokulturen Wälder großflächig zerstört und in vielen Fällen indigene Bevölkerungsgruppen vertrieben werden.
Die verlogene Gleichgültigkeit des deutschen Wirtschafts- und Konsummodells gegenüber seinen ökologischen Kosten, die nur allzu gern an Menschen außerhalb der eigenen Wohlstandsblase ausgelagert werden, ist schon oft beschrieben worden. Im Landwirtschaftssektor zeigt sich diese »imperiale Lebensweise« gleich auf mehreren Ebenen. So garantieren hierzulande und im globalen Süden Niedriglöhne, Existenzverlust und Umweltzerstörung nicht nur beachtliche Konzerngewinne und die unschlagbar niedrigen Lebensmittelpreise in deutschen Supermärkten. Die industrielle Agrarproduktion leistet mit ihren Fleischfabriken, dem großflächigen Einsatz von Stickstoffdüngern und der damit verbundenen Auslaugung der Böden auch einen beachtlichen Beitrag zur Klimaerwärmung.
Nichtsdestotrotz wird genau dieses Modell aggressiv in die ganze Welt exportiert. Ausgerechnet der »Kampf gegen den Hunger« muss immer wieder dafür herhalten, dass mit aktiver Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in vielen Ländern bäuerliche Strukturen hochmodernen Agrarbetrieben weichen müssen. Dabei handelt es sich zumeist um Plantagen mit hohem Chemieeinsatz, schlechten Arbeitsbedingungen – und hohen Zäunen zur Abschottung gegen jene, die bis vor Kurzem noch das Land bewirtschafteten. Statt bei den Hungernden landen die Produkte in aller Regel auf Tellern im globalen Norden. In den Klimaverhandlungen der vergangenen Jahre ist es der Agrarindustrie sogar gelungen, diese intensiven Formen der Bewirtschaftung als »klima-smarte« Methoden zu labeln – inklusive Herbiziden, Düngerexzessen und Gen-Saatgut.
Die Chancen nachfolgender Generationen, solidarische Lebensweisen zu entwickeln, hängen jedoch in hohem Maße davon ab, wie schnell und umfassend wir es schaffen, auf eine wirklich moderne, weil nachhaltige Landwirtschaft umzusteigen. Der Aufbau eines demokratischen und agrarökologischen Ernährungssystems, das Mensch, Tier und Klima gerecht wird, muss mit dem Status Quo in vielem brechen. Das Pariser Klimaabkommen lässt sich nur mit der Abkehr von Exportorientierung und Marktkonzentration umsetzen. Stattdessen brauchen wir eine Trendwende hin zu möglichst regionaler Erzeugung und Vermarktung, kurzen Transportwegen und einem flächendeckenden biologischen Anbau. Auf mineralische Dünger und synthetische Pflanzenschutzmittel müssen wir weitgehend verzichten.
Allen parteigrünen Fensterreden zum Trotz wird Jamaika diese Trendwende hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft nicht einleiten. Wir brauchen deshalb noch stärkere soziale Bewegungen und die Ausweitung von Formen solidarischer Landwirtschaft. Zugleich brauchen wir einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaftspolitik. Den wird es nur über großen politischen Druck geben. Mehr Aufmerksamkeit der Linken für das Thema Landwirtschaft wäre dafür eine wichtige Voraussetzung.
Lesen Sie zu dieser Reihe auch:
>> »Der Himmel ist voll deutschem Dreck«. In keinem anderen Land wird mehr Braunkohle verfeuert als in der Bundesrepublik.
>> »Die Straße ist voll deutschem Dreck«. Doch wer den sozial-ökologischen Wandel will, muss sich mit der Autoindustrie in Deutschland anlegen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.