Neid unter Nachbarn
Frankreichs Fußball hat einen enormen Sprung gemacht - dank vieler starker Talente
Didier Deschamps kennt die Empfindsamkeiten der französischen Seele zur Genüge. Wer als Kapitän der Équipe Tricolore vor knapp zwei Jahrzehnten selbst den WM-Pokal in die Höhe reckte und damit das Selbstwertgefühl einer ganzen Nation erhöhte, der weiß auch, wozu der Fußball taugt. Und erst recht ein Länderspiel gegen Deutschland. Selbst wenn heute bloß eine Freundschaftspartie ansteht, hat Frankreichs Nationaltrainer versichert: »Wir fahren nach Köln, um zu gewinnen.« Wer bitte hat denn der DFB-Auswahl die letzte Niederlage zugefügt?
Gefühlt lag sich die ganze Grande Nation in den Armen, als am 7. Juli 2016 ein historischer Makel getilgt war. 2:0 im EM-Halbfinale gegen den Erzrivalen. Das quälende Trauma besiegt. »Soif de revanche« (Durst nach Rache) hatte die »L’Equipe« jene Mission betitelt, die Deschamps’ Schützlinge mit einer Mischung aus Verbissenheit, Hingabe und Glück erfüllen sollte. Eigenschaften, die der deutschen Elf damals in Marseille abgingen. Zum EM-Triumph hat es für die französischen Fußballer zwar nicht gereicht, aber wer weiß, wofür das im Hinblick auf die WM 2018 in Russland letztlich gut war.
Bei der WM 2014 in Brasilien hatten wie so oft die Deutschen noch das Stoppschild aufgestellt. Es war damals das erste Turnier des 2012 installierten Trainers Deschamps - Kollege Joachim Löw war da bereits ein ganzes Stück weiter. Frankreich schied im Viertelfinale aus, weil Mats Hummels früh ein Tor köpfte, und Manuel Neuer spät die Hand gegen einen Schuss von Karim Benzema ausstreckte. Für 2018 scheint auf einmal aber alles möglich. »Horizon bleu«, blauer Horizont, heißt es bei den Meinungsmachern der »L’Equipe« über die prächtigen Perspektiven von Stürmer Antoine Griezmann und Co.
Tatsächlich hat Deschamps die Mannschaft mit vielversprechenden Zutaten auf die nächste Stufe geführt: Sie wirkt gefestigter und ballsicherer, dominanter und variabler als noch bei der EM. »Mit ihm ist Frankreichs Mannschaft wieder zu einer Nation geworden, die zählt«, begründete Verbandspräsident Noël Le Graët kürzlich die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Deschamps, der als Spieler meist unbemerkt den Strateges hinter dem Ballstreichler Zinedine Zidane gab. Ein Ausrufezeichen gegen den Weltmeister würde die Weiterentwicklung unter dem 49-Jährigen nun noch unterstreichen.
Deschamps schöpfte schon während der souveränen WM-Qualifikation aus einem bemerkenswerten Talentpool. »Frankreich hat viele herausragende Spieler, die allesamt top ausgebildet sind, schnell und athletisch«, lobt Joachim Löw. Neid gehört gewiss nicht zu den Charakterzügen des Bundestrainers, aber seine Anerkennung für die Qualitäten französischer Jungstars ist verbürgt. Nicht zuletzt hatten jene Spieler auch kräftigen Anteil daran, dass der vergangene Transfersommer derart entartete. Die vom FC Barcelona gezahlten 105 Millionen Euro Ablöse für den derzeit verletzten Ousmane Dembélé und die im nächsten Jahr für Paris St. Germain fälligen 180 Millionen für Kylian Mbappé sind nur die Spitze.
Sieben junge Franzosen sind jüngst zu deutschen Erstligisten gewechselt, darunter vielversprechende U21-Nationalspieler, die im Nachbarland bessere Entwicklungsmöglichkeiten sehen als in der Heimat oder in England. Vorbei die Zeiten, dass Profis erst im Herbst der Karriere einen Wechsel wagten wie einst Jean-Pierre Papin oder Johan Micoud. Nun drängt die junge Garde über die Grenze, und Nationalspieler Mats Hummels lobte die sprudelnde Talentquelle im Nachbarland: »Die Franzosen haben eine unfassbare Breite bei den jungen Spielern. Auf dem Niveau habe ich so etwas selten gesehen.«
Mit Corentin Tolisso und Kingsley Coman trainieren zwei Nationalspieler Frankreichs im Verein täglich an seiner Seite. RB Leipzig sicherte sich langfristig die Dienste der Talente Dayot Upamecano, Ibrahima Konaté und Jean-Kevin Augustin, in Dortmund verteidigt Dan-Axel Zagadou, auf Schalke stürmt Amine Harit. Sie alle wollen es irgendwann bis zu Deschamps bringen. Ein Abwehrspieler vom Aufsteiger VfB Stuttgart hat dies gerade geschafft. Benjamin Pavard durfte am Freitag gegen Wales (2:0) debütieren. Gegen Deutschland kommen wohl diejenigen zum Zuge, die ein bisschen mehr Erfahrung mitbringen. Denn dafür ist solch ein Spiel in Frankreich immer noch zu wichtig.
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