Turbine Potsdam sucht in der Bundesliga das Erfolgserlebnis

Potsdams Fußballerinnen wollen mit neuem Trainer gegen Carl Zeiss Jena endlich das erste Tor schießen

Einschwören auf das Erfolgserlebnis: Turbine ist nach sieben Spielen immer noch ohne Treffer.
Einschwören auf das Erfolgserlebnis: Turbine ist nach sieben Spielen immer noch ohne Treffer.

Wenn Kurt Russ in diesen Tagen auf dem Trainingsplatz steht, dann spricht er mit seinen Fußballerinnen mindestens genau so lange, wie er sie üben lässt. Seit gut drei Wochen ist der Österreicher bei Turbine Potsdam – und ist seitdem vor allem damit beschäftigt, die »Unruhe und Verunsicherung« aus dem Team zu bekommen.

Einen Stimmungsumschwung wünscht sich auch Karsten Ritter-Lang. »Die Euphorie nach dem Wiederaufstieg ist nicht mehr da«, erzählt der Vereinspräsident im Gespräch mit »nd«. »Natürlich sind wir nicht glücklich mit der aktuellen sportlichen Situation, da macht sich auch irgendwo eine gewisse Niedergeschlagenheit breit.« Die ernüchternden Zahlen nach den ersten sieben Spielen in der Bundesliga dazu: sieben Niederlagen und ein Torverhältnis von 0:25. Seinen Optimismus hat Ritter-Lang nicht verloren. Die Hoffnung, »mit dem Trainerwechsel wieder vorankommen« zu können, begründet er mit der positiven Art des neuen Coaches. »Kurt Russ ist erfahren genug, mit der Situation umzugehen. Vor allem aber ist er nicht negativ, sondern baut das Team auch vom Kopf her auf. Und das ist erst mal ein gutes Zeichen.«

Grundlagentraining

Wie viel Arbeit das für den 59-Jährigen aus der Steiermark bedeutet, ist im Stadion Luftschiffhafen zu beobachten. Nichts erinnert hier an diesem herbstlich kühlen Donnerstag an die sommerliche Freude und Leichtigkeit, als Turbine mit 17 Siegen als Zweitligameister direkt wieder aufgestiegen war. »Erst zwei Tore«, ruft Tony Heine. Der Assistenztrainer von Russ leitet auf der einen Seite des Platzes die Torabschlussübungen. Die Bälle fliegen über und neben das Tor, einer geht noch rein. Auf der anderen Seite steht Russ, auch hier Grundlagentraining. Bewegung und Pässe für den Spielaufbau stehen auf dem Programm. Er unterbricht mehrmals, erzählt und zeigt, wie es besser geht. »Ruhiger«, ruft Russ bei der abschließenden Spielform. Dann der Pfiff: »Kommt mal bitte alle her.« Nach einer kurzen Besprechung im Teamkreis geht’s weiter, letztlich fallen auch hier nur drei Treffer.

Muss erstmal für Ruhe in Potsdam sorgen: Trainer Kurt Russ
Muss erstmal für Ruhe in Potsdam sorgen: Trainer Kurt Russ

»Wenn die Spielerinnen einen Fehler machen, dann sind sie immer gleich voll fertig, obwohl es Training ist«, erzählt Russ »nd« nach der Einheit. Im Training müsse man aber Fehler machen, nur so könne man besser werden. So oft er das auch schon gesagt hat, »das Selbstvertrauen ist immer noch nicht so da«. Über die Gründe, die Vergangenheit und seinen Vorgänger Marco Gebhardt will Russ nicht sprechen, sondern sich mit der Gegenwart und Zukunft beschäftigen.

Kellerduell

Über den weiteren Verlauf dieser Saison könnte schon das Heimspiel an diesem Sonnabend entscheiden. Carl Zeiss Jena kommt ins Karl-Liebknecht-Stadion. Die Thüringerinnen sind im Sommer mit einem Zähler weniger als Tabellenzweite in die Bundesliga aufgestiegen, jetzt haben sie mit immerhin drei Treffern schon zwei Punkte erspielt und sind Drittletzter. Potsdams Präsident versucht etwas Druck rauszunehmen. »Als Schicksalsspiel würde ich es nicht bezeichnen, es ist das Kellerduell in der Hinrunde«, sagt Ritter-Lang. Trainer Russ sieht es ähnlich: »Wenn man Druck macht, geht es nach hinten los. Du brauchst immer eine gewisse Lockerheit.« Ein klare Vorgabe aber hat der Trainer: »Wir müssen endlich das erste Tor schießen.«

Ob das gegen Jena klappt, kann Russ nicht versprechen. Auch bei der Übungseinheit am Donnerstag seien seine Spielerinnen immer noch ein bisschen verkrampft gewesen, erzählt er im Stadion Luftschiffhafen. Seine Vorgehensweise, ob im Training oder am Spieltag, erklärt der Trainer so: »Ich will den Spielerinnen ganz einfach erst mal das Gefühl geben, ich stehe da draußen und helfe ihnen.«

Zeit und Wirkung

In den ersten beiden Spielen unter Russ haben sich die Veränderungen noch nicht bezahlt gemacht: 0:3 gegen die SGS Essen, 0:6 in Hoffenheim. Es blieb aber auch kaum Zeit, in der darauffolgenden Länderspielpause schon etwas mehr. Jetzt beschreibt Präsident Ritter-Lang die Stimmung als »hoffnungsvoll«. Eine spürbare Wirkung durch den Trainerwechsel hat auch Kim Schneider festgestellt. Die 20-jährige Mittelfeldspielerin kann dies zwar kaum konkret benennen, aber sie spüre »eine neue Energie« im Team, erzählt sie »nd« nach dem Training. Zu spüren war die positive Atmosphäre auf dem Platz durchaus. Immer wieder gegenseitiges Anfeuern und Motivieren, »positiv bleiben«, wie es Schneider sagt. Der Trainer sagt: »Es braucht Zeit.«

Ewig kann der Erfolg nicht auf sich warten lassen. »Durch die viel geringere Anzahl von Spielen in der Frauen-Bundesliga ist es deutlich schwerer, verlorene Punkte in der Rückrunde einzusammeln«, erklärt Karsten Ritter-Lang. Deshalb sei das Heimspiel am Sonnabend schon extrem wichtig. »Das weiß die Mannschaft, das wissen alle«, sagt der Vereinspräsident.

Zäsur

Für Turbine Potsdam war der Abstieg nach drei Jahrzehnten in der Bundesliga mit neun nationalen und zwei internationalen Titeln eine Zäsur. Gründe dafür gab es einige, Präsident Ritter-Lang nennt einen der wichtigsten: »Turbines Stärke war lange Zeit, immer vier bis fünf Spielerinnen über die Sportschule bis in den Profikader zu bekommen, von denen sich dann im Regelfall zwei auch wirklich durchgesetzt haben. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren rückläufig gewesen. Wir sind jetzt dabei, das wieder nach vorne zu bringen.« Dafür hat Turbine seit August erstmals einen hauptamtlichen Nachwuchskoordinator im Verein. »Das Ziel muss sein«, erklärt Ritter-Lang, »dass jedes Jahr leistungsfähige Talente nachrücken.«

Die Nachwuchsarbeit gewinnt angesichts des härter werdenden Kampfes im Fußball der Frauen noch mehr Bedeutung. »Wir sind etwas Besonderes, weil wir der letzte reine traditionelle Frauenverein Deutschlands sind, der in der 1. Bundesliga spielt«, erzählt der Präsident und ergänzt: »Deshalb sind wir auch sehr stolz drauf, dass wir es geschafft haben, bis jetzt der zunehmenden Konkurrenz durch die Lizenzvereine zu trotzen.«

Kostenentwicklung

Um sich wieder im Oberhaus zu etablieren, bietet diese Saison eine große Chance. Weil die Bundesliga im kommenden Jahr um zwei auf dann 14 Klubs vergrößert wird, gibt es diesmal nur einen Absteiger. »Auch deshalb mussten wir handeln«, erläutert Ritter-Lang noch mal den Trainerwechsel. Die ernüchternde Erfolglosigkeit erschwerte auch in anderen, immens wichtigen Bereichen die Arbeit. »Da weiß man dann als Präsident auch nicht mehr, was man potenziellen Sponsoren erzählen soll.« Der Verein sei finanziell stabil, versichert er. »Aber im Fußball der Frauen gibt es eine dynamische Kostenentwicklung in den letzten Jahren. Das sieht man schon daran, wie sich die Gehälter entwickelt haben.«

Karsten Ritter-Lang wünscht sich auch, dass Fußballerinnen von ihrem Sport leben können. »Dafür brauchen wir aber Mittel, die über die Grundfinanzierung des Vereins hinausgehen.« Vor allem, wenn die Konkurrenten FC Bayern München, Eintracht Frankfurt, RB Leipzig, VfL Wolfsburg oder Bayer Leverkusen heißen. »Unsere vielen kleinen Sponsoren helfen uns über die Straße«, freut sich der Präsident über die treuen Partner des Vereins auch in schwierigen Zeiten. »Aber bei den ganz Großen, von denen es in Brandenburg ja auch einige gibt, prallt man immer wieder ab«, berichtet er. Und das ärgert ihn. »Einerseits übernehmen große Firmen, die in Brandenburg mit vielen Fördermitteln, darunter reichlich Steuergeld, angesiedelt worden sind, über die Schaffung von Arbeitsplätzen hinaus keine weitere gesellschaftliche Verantwortung. Das ganze Geld geht über Gewinnabführungsverträge an die Mutterkonzerne, die irgendwo anders sitzen. Das andere, was mich wirklich ärgert, sind die Diskussion um die Stärkung der Rolle der Frauen oder mehr Diversität. Da wird immer viel geredet, aber Taten folgen nie.«

Von alldem wusste Kurt Russ nur wenig, als er sich nach Potsdam aufmachte. Seine Erfahrung als ehemaliger österreichischer Nationalspieler und WM-Teilnehmer 1990 sowie Trainer in der ersten und zweiten Liga kann dabei helfen. Seine erste Station im Ausland und das erstmalige Arbeiten mit Fußballerinnen sieht er als »Herausforderung und Chance« zugleich.

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