Abenteuer mit politischem Tiefgang

Zum Tod des Schriftstellers Wolfgang Schreyer

  • Jürgen Seidel
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Grüne Ungeheuer«, »Der Adjutant«, »Der Resident« und »Der Reporter«. Es sind zuerst die Titel von Abenteuerromanen, die einem bei dem Namen des Schriftstellers Wolfgang Schreyer einfallen, allerdings Abenteuerromane mit politischem Tiefgang. Die Gesamtauflage der Bücher des gebürtigen Magdeburgers liegt bei rund sechs Millionen Exemplaren.

Nachdem er dank mancher Tricks und mehrerer glücklicher Zufälle den Krieg, in den er Ende 1944 als Flakhelfer eingezogen worden war, überstanden hatte, wollte Schreyer eigentlich Journalist werden. Doch diese Pläne zerschlugen sich. Stattdessen lernte er in der elterlichen Drogerie den Beruf seines Vaters, der am 13. Januar 1946 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben war, wie er Jahrzehnte später offiziell erfuhr. Zugleich aber setzte Schreyer die schon als kleiner Junge gepflegte Leidenschaft des Fabulierens fort. Erstes literarisches Vorbild war dem Sieben- oder Achtjährigen dabei Karl May. Bis zuletzt bekannte sich Schreyer zu einem kleinen Hang zum Hochstapler - was ihm manchmal im Leben genutzt habe.

Seine ersten beiden Bücher erschienen Anfang der fünfziger Jahre, 1952 der Kriminalroman »Großgarage Südwest« und bereits ein Jahr später »Kräuterschnaps und Gottvertrauen«, für den er aus dem Erleben als junger Geschäftsführer einer Tangerhütter Pharma-Firma schöpfte - zum Teil so direkt, dass es fast zu einem Prozess gekommen wäre. Seinen ersten großen literarischen Erfolg hatte er dann 1954 mit dem Kriegsroman »Unternehmen Thunderstorm« über den Warschauer Aufstand, auf den er sich mit ausgiebigem Quellenstudium vorbereitet hatte. Schließlich war er von prominenter Seite. so von Friedrich Wolf, gewarnt worden, als Deutscher über ein solch polnisches Thema zu schreiben. Da könne er sich leicht die Finger verbrennen. Doch der Roman wurde ein großer Erfolg, und der junge Autor kam zu einigem Ruhm sowie zu einer bedeutenden literarischen Auszeichnung.

Gemeinsam mit Franz Fühman und Rudolf Fischer wurde Schreyer 1956 mit dem gerade mal vier Jahre zuvor gestifteten Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR geehrt, »zweiter Klasse, mit 6000 Mark dotiert«. Es soll damals sogar Überlegungen und Vorschläge gegeben haben, ihn für sein Buch mit dem Nationalpreis auszuzeichnen. Aber Schreyer war kein Genosse, ist niemals SED-Mitglied geworden. Umso unverständlicher war ihm die kurz nach der Wende von einem »Spiegel«-Journalisten für ihn und sein Werk gebrauchte Formulierung als »Konsalik der SED«. Von Konsalik hielt er außerdem nichts.

Seine Romane und auch die nach seinen Büchern gedrehten Filme spielen nicht selten in Südamerika, in der Karibik oder in den USA. Das mag nicht zuletzt mit einem Ausflug Anfang der sechziger Jahre nach Kuba zu tun haben. Sein wunderbarer, sprachkundiger und kameradschaftlicher Reisegefährte war damals der DEFA-Regisseur Kurt Maetzig.

Gerade als der US-amerikanische U 2-Spionagepilot Powers am 1. Mai 1960 über der Sowjetunion vom Himmel geholt worden war, hatte Maetzig Schreyer in Magdeburg besucht, um mit ihm die Verfilmung seines Romans »Der Traum des Hauptmann Loy« im Breitwandformat »Totalvision« zu besprechen - mit Starbesetzung wie Günther Simon, Horst Drinda und Fred Düren. Nächstes gemeinsames Projekt war ein Film über die US-amerikanische Invasion auf Kuba. Fidel Castro hatte die der Invasion vorangehende Kommandounternehmen als »preludios« bezeichnet, und so bekamen Text und Film den Titel »preludio 11«. Es wurde allerdings ein Unternehmen mit künstlerischen und politischen Schwierigkeiten. Die deutsch-kubanische Koproduktion »preludio 11« kam erst verspätet in die Kinos, in der DDR wurde freundlich applaudiert, beim kubanischen Publikum jedoch kam der Film nicht an.

Für Schreyer aber bedeutete dieser Stoff die Hinwendung zu aus der Sicht von DDR-Lesern geradezu exotischen Themen - Abenteuer, aber eben mit politischem Tiefgang. Und so konnten Leserinnen und Leser in der DDR dank der intensiven Recherche und der spannenden Schreibweise von Wolfgang Schreyer erfahren, wie es in der Welt zugeht, zumal in einer damals den wenigsten zugänglichen Welt. Wenn von einem Privileg des Schriftstellers Wolfgang Schreyer in dieser Zeit gesprochen werden darf, dann von dem, dass er seine Leidenschaft zum Beruf machen und davon gut leben konnte.

Nach der Wende jedoch bekam auch Schreyer mit voller Wucht die Gesetze und Gepflogenheiten des neuen Buchmarktes zu spüren. Ostautoren waren nicht mehr gefragt. Er schrieb unter anderem ein knappes Dutzend Kurzgeschichten für den »Playboy«, der ihm allerdings nur einen dieser mit viel Spaß und frech geschriebenen Texte abnahm. Einen zweiten immerhin druckte »Das Magazin«. Schreyer verglich seine damalige Situation und die seiner DDR-Schriftstellerkollegen mit der der Filmstars der 20er Jahre, deren Laufbahn endete, als der Tonfilm kam.

Schon 2003 hatte der Autor, der die meiste Zeit seines literarischen Lebens zunächst immer von Hand geschrieben und dann in die Schreibmaschine getippt hatte, offiziell aufgehört zu schreiben. Dann aber ermunterte ihn seine Frau Ingrid, lokale Themen aufzugreifen und aufzuschreiben. Wie Ingrid Schreyer bemerkte, verkaufen sich in der Edeka-Kaufhalle in Ahrenshoop, wo es einen Stand mit Schreyer-Büchern gibt, die Titel mit lokalem Bezug am besten.

Nur die wenigsten der Kaufhallenkunden werden wissen, dass ganz in der Nähe, nur wenige Hundert Meter vom Ostseestrand entfernt, über fünfeinhalb Jahrzehnte einer der erfolgreichsten DDR-Schriftsteller seinen Lebens- und Schreibort hatte. Dorthin, an das Meer, hatte es ihn von klein auf gezogen. Und auch diese »Realización« verdankt er Kurt Maetzig.

Am Ende eines langen, im Sommer dieses Jahres in Ahrenshoop geführten Gespräches mit dem schon seit einiger Zeit schwer erkrankten Schriftsteller traut sich der Autor dieser Zeilen folgende Frage zu stellen: Darf man sich Wolfgang Schreyer als einen glücklichen Menschen vorstellen? Die Antwort kommt schnell und ohne Zögern: »Ja, absolut, absolut. Das muss man so sagen.« Am Dienstag, keine Woche bevor er 90 geworden wäre, ist Wolfgang Schreyer gestorben - »selbstbestimmt«, wie es in einer Traueranzeige der Familie heißt.

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