Hochexplosive Mischung
Die womöglich geplante bundesweite Etablierung von Abschiebelagern durch Jamaika bringt Flüchtlingshelfer gegen die Grünen auf
Vor dem Treffen meldete die Agentur Reuters bereits einen Erfolg, dass nämlich die Grünen akzeptiert hätten, Asylsuchende künftig in Aufnahme- und Entscheidungszentren unterzubringen und ihre Verfahren dort an Ort und Stelle abzuwickeln. In dem Papier, in dem der Stand der Verhandlungen festgehalten ist und das »nd« vorliegt, heißt es: »Bei allen Asylsuchenden werden die Verfahren in Aufnahme- und Entscheidungszentren schnell und rechtssicher durchgeführt.« Auch wenn bei Reuters von einem »Fortschrittchen« die Rede ist, sehen Flüchtlingsorganisationen hier das Gegenteil einer Erfolgsmeldung. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, befürchtet eine bundesweite Ausdehnung des Modells bayerischer Lager. Auch der Bayerische Flüchtlingsrat warnt: »Die bayerischen Abschiebelager sind menschenunwürdig und dürfen auf keinen Fall bundesweit etabliert werden!« Die Warnung richtet sich vor allem an die Grünen, die aufgefordert werden, hier »keinerlei Kompromisse« einzugehen.
Die ersten Lager dieser Art waren im Zuge der Gesetzesverschärfungen mit dem Ziel einer Beschleunigung der Asylverfahren eingerichtet worden. Vor allem Menschen mit »fehlender Bleibeperspektive«, zum Beispiel Flüchtlinge aus dem Westbalkan wurden hier untergebracht. Pro Asyl mache von Anfang an auf das Problem einer massenhaften Kategorisierung aufmerksam. Das Asylrecht sei ein individuelles Recht, Asylverfahren müssten immer die konkreten Fluchtumstände ermitteln und in der Entscheidung über Asyl berücksichtigen. In solchen Lagern hätten die Betroffenen keine Möglichkeiten, sich über die Rechtslage ausreichend zu informieren und Hilfe von Unterstützern sowie den Rechtsbeistand von Anwälten in Anspruch zu nehmen, kritisiert Günter Burkhardt. Auch die in einem Rechtsstaat garantierte Möglichkeit einer Überprüfung von Rechtsentscheidungen werde hier faktisch abgeschafft. Der Bayerische Flüchtlingsrat schildert die Situation in den Lagern so: »Diese Zentren sind knallharte Abschiebelager, in denen Flüchtlinge mit direktem Druck, eingeschränkten Rechten und menschenunwürdigen Lebensbedingungen massiv zur Ausreise gedrängt werden. Sie werden dort hinter Zäunen von Sicherheitsdiensten kontrolliert und isoliert, der Zugang zu Schule, Arbeit, Rechtsbeistand, Sozialberatung und ehrenamtlicher Unterstützung ist stark eingeschränkt. Sozialleistungen werden fast ausschließlich in Form von Sachleistungen gewährt. Faire Asylverfahren sind nicht gewährleistet, da sich die Flüchtlinge nicht auf die Anhörung vorbereiten können.«
Der Thüringer Migrations- und Justizminister Dieter Lauinger sieht das offenbar ähnlich, wenn er gegenüber dpa bekundete, die Lager fänden keine Akzeptanz in der Bevölkerung und böten den Bewohnern keine Perspektive. Dies sei eine »hochexplosive Mischung«. Die Jamaika-Unterhändler seiner Partei, der Grünen, haben offfenbar dennoch Bereitschaft bekundet, die Lager zur Norm zu machen. Womöglich in dem Kalkül, im Gegenzug die weitere Aussetzung des Familiennachzugs syrischer Kriegsflüchtlinge zu verhindern, den die Union ebenfalls verfolgt und der eine weit größere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erfährt. Für Betroffene wäre dieser Deal jedoch kaum eine Alternative. Wenn die Grünen »Aufnahme- und Entscheidungszentren« akzeptierten, versündigen sie sich am sozialen Integrationsauftrag des Grundgesetzes, erklärte auch Parteichefin Katja Kipping. Damit hätten sie »als Bürgerrechtspartei im Flüchtlingsschutz abgedankt«. Die Union verschärfte am Donnerstag den Ton noch einmal. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn forderte die Grünen auf, nicht nur bei der schnellen Abschiebung zuzustimmen, sondern auch einem »robusten Mandat« der Grenzbehörde »Frontex«. Hier sieht Burkhardt die eigentliche Gefahr: dass die Grünen nicht verhindern, dass Deutschland fortfährt, die EU auf Abschottungslinie zu bringen und das Grundrecht auf Asyl in Europa faktisch gekippt wird.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.