Arm trotz Arbeit

Der Aufschwung hilft Beschäftigten nicht, meint Florian Haenes

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 2 Min.

Pünktlich zum EU-Sozialgipfel in Göteborg veröffentlicht die wirtschaftsliberale Bertelsmann-Stiftung eine vielbeachtete Studie mit hoffnungsfrohem Tenor: Europa ist sozial gerecht wie lange nicht, denn die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Dahinter steckt ein Trugschluss. Nicht der Arbeitsmarkt sorgt für Gerechtigkeit, sondern der Sozialstaat. Wer eine Arbeit findet, ist der Armut nicht zwangsläufig entkommen. Arm trotz Arbeit - das ist für viele Europäer Alltag.

Nichts wäre einzuwenden gegen Vollbeschäftigung. Aber die Abwesenheit von Arbeitslosigkeit mit sozialer Gerechtigkeit gleichzusetzen, ist ein neoliberaler Selbstbetrug. Der Kurzschluss ist schlicht falsch: Gerade in Deutschland - Europas stärkster Volkswirtschaft - ändert ein Arbeitsplatz am Armutsrisiko oft gar nichts. Trotz Vollzeitstelle zwingen prekäre Arbeitsverhältnisse besonders Familien in die Fänge des Sozialamts. Das räumen die Studienautoren sogar ein: Obwohl die Arbeitslosigkeit gesunken sei, bleibe die Armutsgefährdung auf hohem Niveau. Welchen Beweis braucht man noch, dass die Entrechtlichung des Arbeitsmarktes nur Unternehmen hilft, aber nicht den Beschäftigten?

Wenn die Staats- und Regierungschefs Europas am Freitag die »Europäische Säule sozialer Rechte« verkünden, müssen sie sie sich vom Dogma »Arbeit um jeden Preis« endlich verabschieden. Eine Arbeit, die den Lebensunterhalt nicht finanziert, ist nichts mehr wert. Ist die EU wirklich ein neoliberales Projekt? In Göteborg sollte sie den Gegenbeweis antreten.

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