Abkehr vom Pazifismus

Grünen-Parteimanager Michael Kellner präsentiert regelmäßig Jamaika-Ergebnisse

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Kellner ist derzeit um seinen Job nicht zu beneiden. Während der Sondierungsgespräche über ein Jamaika-Bündnis musste der Bundesgeschäftsführer der Grünen regelmäßig gemeinsam mit den Parteimanagern von CDU, CSU und FDP vor die Kameras treten und Statements über den Stand der zumeist stockenden Verhandlungen abgeben. Man kann es Kellner nicht verdenken, dass ihm oft nur abgegriffene Floskeln eingefallen sind. »Es liegen alle Zutaten auf dem Tisch, jetzt muss man daraus einen möglichst leckeren Teig rühren«, erklärte er einmal. An einem anderen Tag verkündete der Grünen-Politiker: »Die Segel sind gesetzt«. Nun wünsche er sich aber von »allen Seiten« mehr Rückenwind.

Kellner kann auch weniger schiefe Sätze formulieren. Früher hat er als Büroleiter und Redenschreiber für die damalige Grünen-Chefin Claudia Roth gearbeitet. Später wurde Kellner wissenschaftlicher Mitarbeiter von Frithjof Schmidt, der noch immer Fraktionsvize im Bundestag ist. In der Partei steht der 40-Jährige, der in einer Plattenbausiedlung im thüringischen Gera aufgewachsen ist, eher links. Sein Lieblingsthema ist die Außenpolitik. Kurz nach seinem Eintritt bei den Grünen im Jahr 1997 hätte er die Partei beinahe wieder verlassen. Der damalige Konflikt in Kosovo hatte den Kriegseinsatz der NATO mit deutscher Beteiligung gegen Jugoslawien zur Folge. Kellner lehnte den Einsatz im Unterschied zur Mehrheit der Grünen und ihrem Außenminister Joschka Fischer ab. Die »Zeit« bezeichnete ihn deswegen als »Pazifisten«. Obwohl er sich damals als Außenseiter fühlen musste, blieb Kellner in der Partei. Dem jungen Mann gefiel die Streitkultur der Grünen.

Von 2011 bis 2013 war Kellner Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik. In dieser Zeit war von seinem einstigen Friedensengagement nur noch teilweise etwas übrig geblieben. So sprach er sich etwa mit dem Bundesvorstand für die Integration der Streitkräfte in Europa aus. Sich selbst bezeichnet Kellner als »Europaoptimisten«.

Weniger Sympathien hat der Politikwissenschaftler für Kampfeinsätze unter dem Dach der NATO. Kellner hatte in den vergangenen Jahren gefordert, dass das Engagement des transatlantischen Militärbündnisses mit deutscher Beteiligung in Afghanistan schnell beendet werden müsse. Zudem dürfe es am Hindukusch auch keine neue Mission geben. Nach Einschätzung des Grünen-Politikers ist die NATO dort Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.

In einer Koalition mit Union und FDP würde sich an dieser Haltung, die neben Kellner auch viele andere Grüne in Oppositionszeiten eingenommen haben, mit großer Wahrscheinlichkeit einiges ändern. In den Sondierungsgesprächen zur internationalen Politik haben sich die potenziellen Partner bereits zur NATO, zu »starken transatlantischen Beziehungen« sowie zur Entwicklung einer »Europäischen Verteidigungsunion« bekannt. Über die Frage, welches Kriegsgerät das deutsche Militär in Zukunft haben müsse, wollte das Sondierungsteam noch debattieren. Dabei sollte es auch um bewaffnungsfähige Drohnen gehen. Deren Anschaffung ist schon lange geplant.

Wenn die Gespräche über eine neue Bundesregierung abgeschlossen sind, könnte für Kellner nach gut vier Jahren im Amt des Bundesgeschäftsführers bald der nächste Karriereschritt anstehen. Zu Beginn des kommenden Jahres wollen die Grünen einen neuen Vorstand wählen. Cem Özdemir wird dann nicht erneut als Parteivorsitzender antreten. Medienberichten zufolge soll Kellner prinzipiell an dessen Nachfolge interessiert sein. Für ihn würde sprechen, dass er im Vorstand ausgleichend gewirkt und selbst keine großen Konflikte angezettelt hat. Er hat Parteitage, die Urwahl der Spitzenkandidaten und den Bundestagswahlkampf recht erfolgreich organisiert. Bei Parteitagsdebatten wirkt er allein schon wegen seiner enormen Größe von 2,04 Metern sowie aufgrund seiner tiefen und festen Stimme für viele Anwesende überzeugend.

Kellner ist bei der Parteibasis beliebt und seine Wahlergebnisse als Bundesgeschäftsführer zwischen 86 und 88,5 Prozent können sich durchaus sehen lassen. Allerdings können sich auch einige andere Grüne vorstellen, den Chefposten zu übernehmen. Die »Berliner Zeitung« nannte in diesem Zusammenhang kürzlich den Europaabgeordneten Sven Giegold und Niedersachsens scheidenden Landwirtschaftsminister Christian Meyer. Auch über Ambitionen des schleswig-holsteinischen Umweltministers Robert Habeck wird spekuliert. Noch hat sich aber niemand von ihnen aus der Deckung gewagt. Nur Parteichefin Simone Peter hat angekündigt, erneut für die Doppelspitze antreten zu wollen. Die internen Personaldebatten sollen erst dann geführt werden, wenn die Gespräche zu einer Jamaika-Koalition beendet sind.

Bis dahin hat Kellner noch eine große Aufgabe vor sich. Er muss in der kommenden Woche bei einem Berliner Bundesparteitag Regie führen, auf dem über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entschieden werden soll. Sollte das Votum der Unterhändler positiv ausfallen, wird es nicht leicht für sie, die streitlustige Basis der Grünen von dem Projekt zu überzeugen.

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