Macrons »En marche« verliert Mitglieder
Vor der zweiten Konvention der Bewegung des französischen Präsidenten wird die interne Kritik unüberhörbar
Parteitag darf sich diese Tagung nicht nennen, weil die im Februar 2016 von Emmanuel Macron gegründete und zunächst schlicht »En marche« (Auf dem Weg voran) genannte Bewegung ganz anders sein will als die traditionellen politischen Parteien. Denen hat sie gründlich den Rang abgelaufen - während der Präsidentschaftswahl, bei der sie Macron zum Einzug ins Elysée verhalf, und bei der sich anschließenden Parlamentswahl, wo sie die absolute Mehrheit errang. Zum Zeichen ihres Sieges hat sich die Bewegung nach der erfolgreichen Parlamentswahl auf ihrer ersten »Konvention« Anfang Juli in »La République en marche« umbenannt und bei dieser Gelegenheit Macrons Wahlkampfleiter Richard Ferrand für den Posten des Fraktionsvorsitzenden nominiert.
Ihre lockere interne Struktur hat die Bewegung beibehalten. So kann man per Mausklick im Internet Mitglied werden, was bisher 340 000 Franzosen getan haben, zumal man keinen Beitrag zahlen muss. Die 200 Delegierten für die zweite »Konvention« wurden nicht gewählt, sondern ausgelost. Sie sollen nun den Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament, Christophe Castaner, bisher zugleich Regierungssprecher, zum »Generaldelegierten« der Bewegung wählen. Diese Personalie hat Präsident Macron persönlich beschlossen und auch entschieden, dass Castaner sein Ministeramt weiter ausüben könne. Nur ein neuer Regierungssprecher soll benannt werden.
Diese höchst problematische Personalunion von Mitglied der Regierung und Vorsitzender einer politischen Formation trifft nicht nur bei der Opposition, sondern auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Hier wächst seit Monaten die Unzufriedenheit mit der Richtung, die die Bewegung genommen hat. Statt klarer politischer Zielsetzungen gibt es aus dem neoliberalen Marketing entlehnte Slogans und ein dementsprechendes internes Management. Zwar kommen die meisten Basismitglieder aus der privaten Wirtschaft und aus verschiedensten Berufen, aber Politik hatten sie sich doch anders vorgestellt. Vor allem stoßen sich immer mehr Mitglieder an der mangelnden internen Demokratie.
»Alles wird über unseren Kopf hinweg in der Zentrale in Paris entschieden«, meint etwa Anette Dutellier, die im Departement Gard eine Ortsgruppe leitet. »Bei uns geht schon das böse Wort von einer ›Partei stalinistischen Typs‹ um. Beispielsweise wurden uns die meisten Kandidaten der Parlamentswahl von oben diktiert - ohne die Leute zu berücksichtigen, die wir vorgeschlagen hatten, weil sie vor Ort bekannt und mit den lokalen Problemen vertraut sind. Genauso ging es uns, als ein Programm für die Bewegung aufgestellt werden sollte. Auch da wurde keine einziger unserer Vorschläge berücksichtigt.«
Andererseits müssen sie herhalten, wenn die Menschen um sie herum Dampf ablassen über »Macron, den Präsident der Reichen«. Wie Anette und ihren Freunden ging es offensichtlich vielen Mitgliedern auch in anderen Regionen des Landes. Von überall hört man von einem fortschreitenden Schwund enttäuschter Anhänger. Da man genauso leicht aus- wie eintreten kann, weiß bestenfalls die Pariser Zentrale von En marche, wie viele der Bewegung den Rücken zugekehrt haben. Doch dort wird weiter Zweckoptimismus verbreitet.
In dieser Woche sind nun 100 Mitglieder von En marche mit einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit getreten. Sie haben sich entschlossen, mit Wirkung von Sonnabend, also dem Tag der »Konvention«, auszutreten. »Diesen politischen Kurs und diese Art, das Land und die eigene Bewegung zu regieren, wollen wir nicht länger mittragen«, sagt Pierre R., einer der Unterzeichner. Pierre ist überzeugt: »Wir 100 sind nur die Spitze des Eisbergs der Frustration.«
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