Frankreich: Gedenken an Sébastien Briat

In Frankreich und Deutschland wird an den 2004 verunglückten Umweltschützer erinnert

  • Luc Śkaille
  • Lesedauer: 4 Min.
Unvergessen: Menschen nehmen am 10. November 2004 in Bar-Le-Duc an einer zivilen Trauerfeier für den 22-jährigen Studenten und Umweltaktivisten Sébastien Briat teil, der am 07. November 2004 in Avricourt getötet wurde, als er sich aus Protest gegen einen mit Atommüll beladenen Zug an die Bahngleise gekettet hatte.
Unvergessen: Menschen nehmen am 10. November 2004 in Bar-Le-Duc an einer zivilen Trauerfeier für den 22-jährigen Studenten und Umweltaktivisten Sébastien Briat teil, der am 07. November 2004 in Avricourt getötet wurde, als er sich aus Protest gegen einen mit Atommüll beladenen Zug an die Bahngleise gekettet hatte.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer bis hin zu den zahllosen Demonstrant*innen im Wendland. Sie war ein traumatischer Schock für die Antiatom-Bewegung, der bis heute nachwirkt. Bürgerinitiativen und Angehörige erinnern am 7. November an den viel zu frühen Tod des jungen Mannes Sébastien Briat.

Tödlicher Ungehorsam

»Er war ein fröhlicher Mitstreiter, voller Ideale und Wünsche für eine bessere Welt« beschreibt ein Weggefährte den, den hier alle »Bichon« nennen. Im Gespräch mit »nd« berichtet Yann*, er hätte sich ursprünglich »an Sébastiens Stelle« befinden sollen. Kurzfristig tauschten die Freunde ihre Positionen für die Blockade. Am Kilometer 408 erfolgte der tödliche Unfall.

Dem Tod Briats ging eine Verkettung unglücklicher Umstände voraus. Die Kommunikation zwischen der Blockadegruppe und jener, die die Warnsignale absetzte, war zum Zeitpunkt des Unfalls gekappt. Der Strahlentransport, der versuchte die verlorene Zeit einer vorausgegangenen Blockade aufzuholen, erfasste den 22-jährigen beim Versuch, das Gleisbett zu verlassen, mit 98 Stundenkilometern.

Eine Bewegung zwischen Aufschrei und Schockstarre kritisierte, dass der Begleithubschrauber zuvor zum Auftanken abgedreht und ein ganzer Streckenabschnitt unkontrolliert zurückgelegt worden sei. Für die Gewerkschaft »Sud Rail« hätte der Zug »auf Sicht« fahren müssen. Motorradpolizisten, die den »Castor« begleiteten, äußerten damals, sie hätten dem Tempo des Zugs »kaum folgen können«.

Eine gelähmte Bewegung

Das dramatische Ereignis förderte massenweise Resignation in Teilen der Bewegung. Bis heute tun sich Gefährt*innen des Verstorbenen schwer, über die Ereignisse zu reden. Nach dem Unfall hatte die Blockierergruppe eigene Fehler eingeräumt. Verantwortliche von Behörden und Transportgesellschaft wurden nie belangt.

Über Jahre blieben die Atommülltransporte dennoch Gegenstand massiver Proteste. Gilles Lemaire von den französischen Grünen verkündete nach dem Unfall, man werde den Protest fortsetzen und weiterhin »alle möglichen Mittel nutzen«. Doch die Konjunktur der Bewegungen dies- und jenseits des Rheins entwickelte sich unter unterschiedlichen Voraussetzungen schlecht.

Während in Deutschland der Atom-Teilausstieg von 2011 große Teile der Bewegung befriedete, versucht eine überschaubare Bewegung in Frankreich bis heute, der »Atomrenaissance« zu trotzen. Mit bis zu 14 neuen EPR-Reaktoren, neuen Kooperationsabkommen und dem Bau des Atommülllagers von Bure will sich Frankreich weiterhin an der Spitze der Atomstaaten behaupten. Und da diese tatsächlich »mit allen Mitteln« kämpfen, befindet sich der Ausbau der Hochrisikotechnologie in Teilen der EU weiterhin im Aufwind.

Erinnern und kämpfen

Wenn in zwei Wochen der letzte »Castor« aus dem Rücknahmeabkommen Deutschlands La Hague in Richtung Phillipsburg verlassen wird, ist kaum mit größerem Widerstand zu rechnen. Schmerzlicherweise bleibt der Zugabschnitt, auf dem Sébastien Briat verunglückte, auch diesmal die wahrscheinlichste Transportstrecke. Verschiedene Gruppen rufen zu dezentralen Aktionen gegen den Strahlenzug und in Gedenken an »Bichon« auf.

Der bei Bar-le-Duc aufgewachsene junge Mann engagierte sich an vielen Fronten, um das konservativ geprägte Hinterland mit Gegenkultur zu dynamisieren. Mit Freund*innen stellte »Bichon« die Kulturinitiative »Carpe Diem« auf die Beine, spielte im Rugbyclub und war in der anarchosyndikalistischen CNT-Ortsgruppe organisiert.

Weltgrößtes Atommüll-Endlager

Die Meuse ist der Standort, an dem Frankreich nach wie vor das weltgrößte Atommüll-Endlager errichten will. Ein ehemaliger Mitschüler von »Bichon« bekräftigt: »Der Protest gegen das Atommüllproblem und für das Dorf Bure lag für uns alle auf der Hand. Doch so mutig wie die Blockierer waren die wenigsten.«

Die transnationale Anteilnahme der Anti-Atombewegung bleibt auch 20 Jahre nach Sébastien Briats Tod erkennbar. Von Bar-le-Duc bis zu den Bahnhöfen von Lüneburg und dem wendischen Hitzacker organisiert die Bewegung am 7. November Versammlungen. In Gedenken an Sébastien Briat und in Erinnerung an Zeiten des Versuchs, sich mit zivilem Ungehorsam der Atomindustrie zu widersetzen.

*Name ist der Redaktion bekannt

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