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- SPD-Landesparteitag
Irrationale Momente der Politik
Auf einem SPD-Landesparteitag wird der Vorsitzende Woidke gefeiert und kritisiert
Erik Stohn gehörte bisher im Landesverband nicht zu den ganz großen Nummern. Aufgerückt ist er außerplanmäßig, weil Generalsekretärin Klara Geywitz nach der Absage der Kreisgebietsreform hinwarf. Zuletzt war Geywitz im Oktober 2016 nur mit 60 Prozent der Stimmen als Generalsekretärin bestätigt worden. Doch am Sonnabend im Kongresshotel, nach vier Jahren im Amt, klatschte der gesamte Saal, als Dietmar Woidke ihre Verdienste würdigte. Mit 6350 Genossen, allein 400 traten im laufenden Jahr schon ein, ist die SPD erstmals mitgliederstärkste Partei im Bundesland - ein Titel, mit dem sich früher die LINKE schmücken konnte. Die bescheidenen 60 Prozent Zustimmung vorher und der Applaus jetzt zu Abschied, für Klara Geywitz ist das ein Beleg dafür, wie »irrational« Politik manchmal sei.
Ähnlich irrational wirkte, wie die Delegierten den Landesvorsitzenden Dietmar Woidke nach seiner Parteitagsrede erst mit stehenden Ovationen feierten, woraufhin er dankbar lächelnd bemerkte: »Das tut gut, das gebe ich zu.« Unmittelbar danach musste Woidke in der Aussprache aber einiges einstecken.
Sie sei von der Rede »enttäuscht«, sagte Marianne Rehda. Dem Ministerpräsidenten kreidete sie als Fehler bei der gescheiterten Kreisgebietsreform an, dass er mit Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) den falschen Mann ausgewählt habe, in den Landkreisen für die Reform zu werben. Als sie hörte, mit welcher Arroganz Schröter das Anliegen vortrug, sei ihr bereits klar gewesen, dass die Reform scheitern musste. Dietmar Woidke habe mit der Absage der Kreisneugliederung nicht einfach nur die richtige Entscheidung getroffen, sondern die einzige noch mögliche. Zum Zustand der brandenburgischen SPD sagte Rehda: »Wir sind nicht so toll. Wir könnten viel mehr für Kitas und Schulen ausgeben.« Wenn nun ab Herbst 2018 das letzte Kitajahr vor der Einschulung elternbeitragsfrei werden solle, so sei dies viel zu spät. »Das hätten wir viel eher machen können.«
Enttäuscht von Woidkes Rede äußerte sich auch Sibylle Bock. »Die SPD liegt in Brandenburg am Boden«, urteilte die Kreistagsvorsitzende aus Märkisch-Oderland. »Wenn wir so weitermachen, dann ist uns der Untergang gesichert.«
Mit ihrer Kritik waren die beiden Frauen nicht allein. Dabei hatte Dietmar Woidke unmittelbar zuvor schon Selbstkritik geübt. Er mache sich selbst Vorwürfe, sagte er. Die rot-rote Koalition habe im Landtag die Mehrheit für die Kreisgebietsreform gehabt. Doch der Riss durch die SPD und durch das Land sei tiefer geworden, begründete Woidke die Absage der Reform vor etwas mehr als zwei Wochen. »Es war die schwerste Entscheidung meiner politischen Entscheidung«, sagte er. Das Ziel einer auch künftig funktionierenden Verwaltung sei richtig gewesen. Doch das Ziel lasse sich nur gemeinsam erreichen. Mit Argumenten sei man gegen die Emotionen nicht angekommen. Der CDU warf Woidke vor, eine »billige Kampagne« gegen die Reform geführt zu haben, um politisch punkten zu können. Das sei der CDU aber nicht gelungen. Ihre Umfragewerte hätten sich nicht verbessert. Stattdessen habe die CDU den »Rechtspopulisten« den Boden bereitet.
Woidke schwärmte, wie gut sich Brandenburg entwickelte habe, was sich unter anderem an der niedrigen Arbeitslosenquote zeige. Allerdings räumte Woidke gleich selbst ein, ihm sei bewusst, »dass viele davon nichts merken«. Diese Menschen haben »schlecht bezahlte Jobs, Angst vor Altersarmut, manche stehen in überfüllten Zügen, manche finden keinen Kitaplatz«, erzählte der Ministerpräsident. Er forderte mit Blick auf die Sondierungsgespräche über eine »Jamaika«-Bundesregierung aus CDU, CSU, FDP und Grünen: »Hände weg vom gesetzlichen Mindestlohn.« Die Lohnuntergrenze dürfe nicht nur nicht abgeschafft werden, sie müsse im Gegenteil noch angehoben werden.
23 Prozent für die märkische SPD lautete die jüngste Prognose. Das ist ein Tiefpunkt. Doch Woidke gab sich überzeugt, die SPD könne 2019 die Kommunalwahl und die Landtagswahl gewinnen. Wie das gelingen soll? Beispielsweise mit dem elternbeitragsfreien Kitajahr und mit der Hoffnung: »Dass wir gemeinsam diese schwere Phase überstehen können.«
Auch der neue Generalsekretär Erik Stohn appellierte an Einigkeit und Geschlossenheit. Um den Delegierten zu zeigen, dass er einer von ihnen sei, hatte er sich ein heiteres Aufstehspiel ausgedacht: Erst sollten sich diejenigen Delegierten von ihren Plätzen erheben, die genau so lange wie Stohn Mitglieder der SPD sind. Als letztes sollten diejenigen aufstehen, die für die SPD Wahlkampf machen. Das waren natürlich alle, und so standen am Ende alle gemeinsam. Für die Farbe seiner Hochzeitskarten bekam Stohn den Tipp, Rot wäre gut.
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