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- Geplatzte Jamaika-Sondierung
SPD will nicht Merkels »Ersatzrad« sein
Sozialdemokraten lehnen Regierungsbeteiligung nach Jamaika-Aus ab / Parteivorstand beschließt einstimmig: Stehen nicht für eine große Koalition bereit
Berlin. Die SPD schließt nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen eine erneute große Koalition mit der Union aus und scheut keine Neuwahlen. Das beschloss der Parteivorstand am Montag einstimmig in Berlin, wie die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen erfuhr. In dem gebilligten Papier heißt es, zwei Monate nach der Bundestagswahl hätten CDU, CSU, FDP und Grüne die Bundesrepublik in eine schwierige Situation manövriert.
Die Lage werde jetzt zwischen den Verfassungsorganen und Parteien erörtert werden. »Dafür ist genügend Zeit.« Deutschland habe im Einklang mit seiner Verfassung eine geschäftsführende Regierung. »Wir halten es für wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Lage neu bewerten können. Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht. Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung.«
SPD diskutierte Reaktion auf Scheitern von Jamaika
Vor Bekanntwerden des Beschlusses hatte es am Montag eine Debatte in der SPD gegeben, wie sich die Partei als Reaktion auf die gescheiterten Jamaika-Soniderungen verhalten sollte. Durch die Absage der FDP an eine Koalition mit CDU, CSU und Grünen »verändert sich die Lage für die SPD nicht«, betonte SPD-Vize Ralf Stegner am Montag auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter. SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte dem Sender HR: »Die SPD ist nicht das Ersatzrad am schlingernden Wagen von Frau Merkel.« Einer Minderheitenregierung werde sich seine Partei aber nicht verschließen, betonte er. Noch steuere das Land nicht in eine Situation, in der gar nichts mehr gehe, ergänzte Schäfer-Gümbel. »Wir haben eine geschäftsführende Bundesregierung. Nun muss sich zunächst die Bundeskanzlerin erklären, wie sie sich das vorstellt, nachdem sie ja nicht unerheblich für den jetzt entstandenen Scherbenhaufen verantwortlich ist.«
Gabriel würde keine führende Rolle übernehmen
Der Bundesaußenminister und frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel schloß indes für sich eine herausgehobene Rolle im Fall von Neuwahlen aus. »Nix da. Ich bin draußen und da bleibe ich auch«, sagte Gabriel am Montag den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Am Rande seines Besuchs in Myanmar stellte der amtierende Vizekanzler zudem klar, die geschäftsführende bisherige Bundesregierung sei »handlungsfähig«. Gleichwohl machte Gabriel mit Blick auf das Scheitern der Bemühungen um eine Jamaika-Koalition deutlich, es gebe auch im Ausland die Erwartung, »dass sehr bald eine Klärung insofern zustande kommt, dass Deutschland wieder eine stabile Regierung hat«. Allerdings gebe es auf internationaler Ebene »auch Verständnis dafür, dass das Parlament und die Parteien Zeit brauchen, zueinander zu finden«. Da gebe es in anderen Ländern ähnliche Erfahrungen, »auch in Europa«.
Maas: FDP hat Sondierungen nur als Bühne genutzt
Nach dem Aus der Sondierungen kritisierte Saarlands SPD-Landesvorsitzender Heiko Maas den Rückzug der Liberalen scharf. »Die FDP hat diese Sondierungen nur als Bühne benutzt. Dieser parteipolitische Egoismus beschädigt unsere Demokratie«, sagte Maas am Montag. Niemand sei zum Regieren verpflichtet: »Aber: Das Votum der Wähler so zu ignorieren, ist respektlos«, betonte Bundesjustizminister Maas, der noch geschäftsführend im Amt ist. »Wer Politik so unverantwortlich inszeniert, verrät das große liberaldemokratische Erbe von Vorsitzenden wie Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher.«
Der rheinland-pfälzische SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer hatte nach dem Scheitern der Gespräche eine Neuauflage der Koalition von Union und SPD abgelehnt. Er sei zwar dafür, »dass sich die SPD Gesprächen nicht verschließt«, sagte Schweitzer am Montag in Mainz. Aber: »Die SPD hat den Auftrag von den Wählerinnen und Wählern bekommen, die Opposition anzuführen.« Eine schwarz-grüne Minderheitsregierung und eine Neuwahl 2018 hält er nicht für abwegig. »Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel erleben.« Die Grünen hätten ihre Kompromissfähigkeit ausgebaut. Als SPD-Spitzenkandidat für eine mögliche Neuwahl sieht er »naturgemäß« Parteichef Martin Schulz.
Auch Sachsens SPD-Chef Martin Dulig hatte sich gegen eine Beteiligung seiner Partei an einer künftigen Bundesregierung ausgesprochen. »Die SPD hat von Anfang an für Klarheit gesorgt, dass wir für eine Koalition nicht zur Verfügung stehen«, erklärte der sächsische Wirtschaftsminister Dulig am Montag auf einer Reise durch China: »Wir sind nicht die Kasko-Versicherung für vier Parteien, die es nicht geschafft haben, sich zu einigen«. Von daher liegt »die Verantwortung weiterhin bei denjenigen, die eine Mehrheit haben«.
Sachsen-Anhalts SPD-Chef Burkhard Lischka sah keine Alternative zu Neuwahlen. »Ich kann nicht erkennen, dass es eine Option für eine auf vier Jahre stabile Regierung gibt«, sagte er am Montag. »Wir können jetzt nicht einfach eine Große Koalition machen, das geben die Wahlergebnisse einfach nicht her.« Neuwahlen müssten daher im nächsten Jahr kommen.
Auch die Bayern-SPD forderte Neuwahlen – und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer zum Rücktritt auf. »Nachdem CDU-Chefin Angela Merkel nicht in der Lage ist, eine neue Regierung zu bilden, sind Neuwahlen der klarste Weg für unser Land«, sagte SPD-Landeschefin Natascha Kohnen am Montag in München. Sie blieb dabei, dass sich die SPD Gesprächen über eine mögliche Neuauflage der schwarz-roten Koalition verweigern sollte: »Wir als SPD bleiben bei unserem Nein zur Neuauflage einer Großen Koalition.« Der bayerische SPD-Generalsekretär Uli Grötsch kritisierte, Merkel und Seehofer hätten gezeigt, »dass sie es nicht mehr können«. »Beide müssen zurücktreten und so den Weg freimachen für eine stabile Bundesregierung.« Agenturen/nd
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