Retter für rumpelnde Rotoren

Mecklenburg-Vorpommern: Stefan Zeuner ist für 20 Windräder bei Friedland verantwortlich

  • Henning Holtmann, Friedland
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf einem Feld in der Nähe der Kleinstadt Friedland in Mecklenburg-Vorpommern, fast direkt an der A 20, sind stählerne Türme in den Himmel gewachsen, die aus der Ameisenperspektive besonders beeindruckend erscheinen. Rotorblätter verschwinden an diesem Novembertag in dichten Nebelschwaden, um dann wie wuchtige Messer hervorzuschnellen.

Für dieses Schauspiel haben die zwei Monteure jedoch wenig Zeit. Sie widmen sich einer Bremse im Modell S77. »356 Sprossen, ich habe sie anfangs noch mitgezählt«, sagt Steffen Zeuner, nachdem er eine Tür am Fuß des Windrads aufgeschlossen hat und auf eine schier endlose Leiter zeigt, die in die Gondel führt. Für den Aufstieg trägt er Gurte wie ein Kletterer, über einen Karabiner ist er mit einer Sicherheitsschiene verbunden.

Schwindelfrei muss er sein, er darf keine Höhenangst haben: Die habe er nie verspürt, meint der erfahrene Techniker, der seit zwölf Jahren Windräder repariert. Der 49-jährige Familienvater brachte schon in Neapel oder am Nordkap defekte Rotoren wieder zum Laufen. Doch erst der Job beim uckermärkischen Unternehmen Enertrag führte ihn wieder zurück in die Heimat. »Man lernt in diesem Beruf nie aus«, sagt er. »Denn die Anlagen werden immer komplexer.«

Für 20 Windräder ist Zeuner verantwortlich. In einer Leitstelle werden die Arbeiten koordiniert. »Diese Anlagen verraten einem viel, aber nicht alles«, berichtet er. Oft müssten auf dem Laptop ganze Fehlerketten ausgelesen werden, bis die Ursache für eine Störung gefunden sei. Wie ein Automechaniker tastet er sich an das Problem heran.

100 Meter ist Modell S77 hoch - knapp 80 Meter misst der Rotor im Durchmesser. Für den Aufstieg im engen Schacht, der im Schnitt 20 Minuten dauert, planen beide Techniker sämtliche Arbeitsschritte sowie das dafür benötigte Werkzeug akribisch. »Es kann ja keiner oben in der Gondel sagen: Ich hab' den Schraubschlüssel vergessen«, witzelt Zeuner.

Viel Kraft braucht er für die Demontage: Viele Bauteile wiegen mehrere Zentner. Zusammen mit einem Kollegen wuchtet er eine 70 Kilogramm schwere Bremszange in den Transporter. Zwei mussten sie heute austauschen. Sie wurden über eine motorbetriebene Kette zu Boden gelassen. Für die richtig großen Dinge wird jedoch ein mobiler Kran angefordert.

Wenn etwa ein Generator kaputt ist, müssen sechs Tonnen bewegt werden. Doch nicht nur, wenn der Rotor stillsteht, eine Bremse quietscht oder das Getriebe knirscht, ist das Team im Einsatz. Auch regelmäßige Wartungen sind vorgeschrieben. Einmal im halben Jahr werden etwa Schmierstoffe, Lager und Sensoren überprüft - und die Gondel von innen geputzt.

Bei der jährlichen Inspektion schauen sich die Experten sämtliche Schraubverbindungen an und nehmen Messungen vor. »Manche Anlagen laufen viele Jahre störungsfrei durch, bei anderen ist der Wurm drin«, meint Zeuner. Dann schlagen die elektronischen Verschleißmelder ständig Alarm. Mindestens 20 Jahre sollten Windkraftanlagen laufen, damit sich die Millioneninvestitionen rechnen.

Laut Branchenerhebungen verursachen die Aufwendungen für Wartung und Instandhaltung rund ein Viertel der Gesamtkosten. Allein in der Serviceabteilung sind ein Viertel der 460 Mitarbeiter von Enertrag beschäftigt. Unternehmenssprecher Robert Döring legt Wert auf die Aussage, dass Störungen zumeist sofort behoben werden, schon aus wirtschaftlichen Gründen.

Um Defekte in Rotorblättern aufzuspüren, die wie Tragflächen eines Flugzeugs enormen Belastungen ausgesetzt sind, wurde jüngst von Freiburger Forschern ein neuartiger Radarscanner vorgestellt. »Dadurch können wir millimetergenaue Querschnittsansichten erzeugen«, erklärt Projektleiter Axel Hülsmann vom Fraunhofer-Institut IAF. Bislang würde das Material in luftiger Höhe noch mit Hämmern abgeklopft.

In der modernen Leitzentrale des Unternehmens, die im Dorf Dauerthal - mitten im Nirgendwo - errichtet wurde, werden 1400 Windräder weltweit überwacht. Ein nie versiegender Datenstrom spült sämtliche Fehlermeldungen in die Rechner. Immerhin zwei Drittel der Fehler lassen sich aus der Ferne beheben.

Ebenso werden Anlagen per Mausklick hochgefahren. »Die stehen in Deutschland, Frankreich, Italien, aber auch in Japan«, sagt Döring. Das System erlaubt es auch, den Öko-Strom punktgenau einzuspeisen. In Mecklenburg-Vorpommern betreibt Enertrag knapp 80 Windräder. Landesweit waren Ende 2016 mehr als 1800 Rotoren im Nordosten registriert. dpa/nd

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