Alleskönner Alge aus der Altmark

Sachsen-Anhalt: In Klötze steht Deutschlands größte Mikroalgenkulturanlage - und boomt

  • Diana Serbe, Klötze
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Lebensmittelindustrie spricht »Superfood« gesundheitsfördernde Wirkung zu, auch die Kosmetikbranche hat es im Kampf gegen Alterserscheinungen für sich entdeckt. Angebliche Alleskönner wie etwa eine Alge namens »Chlorella« gehören vielerorts zum festen Angebot im Supermarkt und halten immer mehr Einzug in den Konsumentenalltag. In Klötze in der Altmark steht Deutschlands größte Mikroalgenkulturanlage. Beim Start 1999 war sie sogar die erste in Europa. Seit 2004 führt Diplom-Biologe Jörg Ullmann die Geschäfte der dort ansässigen Firma »Roquette«.

1,2 Hektar für den Superstoff Alge, Glasröhren in Gewächshäusern, wohin man schaut. Ein leuchtend grünes Röhrensystem auf 500 Kilometern Länge, Fassungsvermögen: 600 000 Liter. Laut Ullmann ist das Pionierarbeit in punkto Anbaubedingungen. Das Sonnenlicht kann ungehindert einströmen, das Produkt ist ideal vor Regen, Insekten und Schadstoffen geschützt. In anderen Ländern würden Algen meist in Teichanlagen angebaut.

In Deutschland gibt es nur wenige Betriebe, die Algen nach industriellem Maßstab herstellen. Das System in Klötze war mit Beginn des neuen Jahrtausends ein »Quantensprung« in der Algenkultivierung gewesen, sagt Ullmann. »Wir verstehen uns als Rohstoffproduzent«. Das heißt: das Saatgut wird eingepflanzt, mit Süßwasser und Nährstoffen angereichert und bis zur Ernte mit den benötigten Temperaturen optimal im Gewächshaus versorgt. Das Wasser kommt aus einer eigenen Quelle.

Ein Dutzend verschiedene Algensorten werden hier gezüchtet, vor allem Mikroalgen, die - wie der Name sagt - im Gegensatz zur Makroalge vom Urlaubsstrand oft erst unter dem Mikroskop erkennbar sind. Aufgrund der unkomplizierten Anbaubedingungen wird die Mikroalge schon als grüner Rohstoff der Zukunft gehandelt. In Asien gehört die grüne Vitalbombe schon lange auf den Teller der Einheimischen. Neben Ballaststoffen und Proteinen enthält sie vor allem die wichtigen Vitamine A, B, K sowie Eisen und Jod. Die enthaltene Alginsäure soll zudem den Körper entgiften. Immer wieder gibt es aber auch kritische Stimmen, die eine besonders positive Wirkung von Algen auf die Gesundheit anzweifeln.

Für den Verbraucher sichtbar, wenn auch nur in der Zutatenliste, sind die angeblichen Alleskönner aus Klötze unter anderem im heimischen Supermarkt. Die Mikroalge »Chlorella« hat ihren Weg ins Kühlregal bereits gefunden. Smoothie-Produzent »True Fruits« setzt sie einem seiner grünen pürierten Säfte zu. Wer an glitschigen und geruchsintensiven Seetang aus dem Meer denkt, wäre überrascht von Produkten wie Algenspaghetti, Meeres-Salat oder Algen als Würze im Gemüseeintopf.

Zuletzt interessierte sich die Gastronomische Akademie für Ullmanns Kochbücher - erst recht, weil es so etwas seit mehr als zehn Jahren nicht mehr auf dem Markt gegeben habe, so der Algenbauer. In seiner privaten Küche experimentiert der 43-Jährige häufig und kommt neben Sushi-Variationen, dem Klassiker der japanischen Küche, auf Ideen wie den »Chlorella-Vodka«.

Aber auch von Pulver bis Tablette und Futtermittel für Pferde reicht das Einsatzgebiet der Algen aus dem Norden Sachsen-Anhalts. »Das Umsatzvolumen steigt seit Jahren kontinuierlich«, sagt Ullmann. Das liege an neuen Handelspartnern, aber auch am Trend »Superfood«. Je nach Algenart werden zwischen 30 und 50 Tonnen pro Jahr produziert.

»Die eine mag es warm, die andere eher kalt«, sagt Ullmann über die Temperaturvorlieben der Algen. Im Kern baue man zwischen März und November an. Ab Ende November ist daher Zeit für Reinigung und Neuinstallation in Klötze. Das Team - bestehend aus 17 Mitarbeitern und zwei Forschungsstudenten - sei dennoch ganzjährig im Einsatz. »Vom Labor bis zum Shop«, wie der Geschäftsführer sagt. Exportiert wird bis nach Asien und Nordamerika.

Zu den Umsatzzahlen schweigt der Geschäftsführer, auch behält er neue Verfahren lieber »in der Schublade«, anstatt sie patentieren zu lassen. Eine Expansion des Unternehmens ist jedoch in Sicht: In Neustadt-Glewe (Mecklenburg-Vorpommern) entsteht die zweite, wenn auch kleinere Anlage mit einer neuen Technologie. Die Pilot-Versuche laufen bereits.

Den 12. Oktober hat Ullmann zum »Welt-Algentag« ernannt, um auf die Bedeutung des Meeresbewohners hinzuweisen. Ein entsprechender offizieller Vorschlag an die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation ist abgeschickt. dpa/nd

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