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  • Vor dem Urteil in Den Haag

Ratko Mladic: Kriegsverbrecher oder Held?

In Den Haag fällt das Urteil über den früheren serbisch-bosnischen Armeechef Ratko Mladic

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann die Geschichte von Ratko Mladic, dem Oberbefehlshaber der serbisch-bosnischen Armee während des Bürgerkriegs, rund um die Massenmorde von Srebrenica aufbauen. Die entscheidende Frage wäre dann, ob die je nach Lesart 2000 bis 8000 Mitte Juli 1995 unter dem Schutz einer UN-Sonderzone stehenden Getöteten einem Völkermord zum Opfer fielen oder ob die Mehrheit von ihnen grausame Tode in Folge »normaler« Kriegshandlungen oder Kriegsverbrechen starb.

Seit die Europäische Union per Rahmenbeschluss im April 2007 alle Mitgliedsstaaten verpflichtete, die Leugnung von Völkermord als Straftatbestand zu behandeln, steht man bei der Option, in den Gräuel von Srebrenica keinen Genozid zu erkennen, bereits mit einem Bein in der Untersuchungshaft. Eine offene Debatte ist unter solchen Umständen schwierig.

Man kann die Geschichte von Mladic, der sich 15 Jahre lang seiner von Den Haag ausgeschriebenen Verhaftung entziehen konnte und erst im Mai 2014 in Serbien festgenommen wurde, ihrer Kontexte berauben und lediglich feststellen, dass er ein Kriegsverbrecher ist. Das u.a. von privaten Spendern wie George Soros finanzierte Jugoslawientribunal in Den Haag (ICTY) befleißigt sich dieser Methode.

Man kann die Geschichte von Mladic in der serbischen Darstellung erzählen. Danach ist der 1942 in einem ostbosnischen Dorf geborene Militär ein Held, der nicht nur für Serbien, sondern auch für das christliche Europa gegen radikalisierte Muslime kämpfte, die damals irrtümlicherweise vom Westen als Alliierte angesehen wurden. In der Mitte der 1960er-Jahre publizierten »Islamischen Deklaration« des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic finden sich jede Menge Hinweise, die diese Version glaubhaft machen; wofür der Autor im titoistischen Jugoslawien auch wegen »panislamischer Untergrundtätigkeit« ins Gefängnis wanderte.

Oder man kann die Geschichte des Ratko Mladic im geopolitischen Zusammenhang erzählen. Und das sollte seriöser Weise passieren. Dann beginnt sie - von Deutschland aus betrachtet - spätestens im Herbst 1991, als Izetbegovic bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher vorsprach und sich Unterstützung für die bosnische Sezession holte. Völlig konträr zu dem, was Berlin heute im Fall von Katalonien betreibt, drängten damals die Spitzen der deutschen Politik auf ein Unabhängigkeitsreferendum in Bosnien - wohl wissend, dass ein Drittel der Bevölkerung, die Serben, ein solches strikt ablehnte.

Mit dem Tag des Referendums am 1. März 1992 begann für die Serben der Bürgerkrieg. Dies auch deshalb, weil am selben Tag ein radikaler Moslem eine Bombe in eine serbische Hochzeitsgesellschaft im Zentrum von Sarajevo warf. Der Täter wurde später Kommandant des Stadtteils, die westliche Presse schwieg. Die Anerkennung des unabhängigen Bosnien durch die EG erfolgte dann schnell und in sensibler Weise ausgerechnet am 51. Jahrestag von Hitlers Überfall auf Jugoslawien, am 6. April 1992.

Die Dynamisierung des bosnischen Völkerschlachtens von außen fand auf vielen Ebenen statt, gemeinsam war allen die anti-serbische Haltung. Die Werbeagentur Ruder Finn arbeitete erfolgreich daran, den »bösen Serben« als Nazi darzustellen, französische Philosophen vom Schlage Bernard-Henry Levys ergingen sich in anti-serbischem Rassismus und die NATO nützte ein nicht klar zuordenbares Bombenattentat am 2. August 1995 für ihren ersten »Out-of-Area«-Einsatz gegen serbisch-bosnische Städte.

Zwei Monate vor den Massenmorden von Srebrenica griffen übrigens kroatische Sondereinheiten eine andere UN-Schutzzone, den Sektor West, an. Darin hatten serbische Zivilisten Zuflucht gefunden. Diese Attacke vom 1. Mai 1995 wurde im ICTY genauso wenig verfolgt wie die vom Serbenhass getriebenen Verantwortlichen aus Deutschland, Österreich und den USA. Das dafür blinde Auge der Justiz in Den Haag erweist der notwendigen Aussöhnung in Bosnien einen Bärendienst. Schlimmer noch: Das Jugoslawientribunal hat sich als Fortsetzung der westlichen Politik mit juristischen Mitteln erwiesen. Ratko Mladic kann sich deswegen, welcher Verbrechen er immer schuldig sein mag, als Opfer darstellen.

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