- Politik
- CSU nach dem Jamaika-Aus
Nicht nur Söder im Nacken
Horst Seehofers Zeit als starker Mann der CSU scheint abgelaufen
Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ist wieder alles offen, bis auf eines: Die CSU muss die seit dem miserablen Abschneiden der Partei bei der jüngsten Bundestagswahl schwelenden Personalfragen klären - sehr viele Fragen: Wer geht als Spitzenkandidat in die kommende Landtagswahl in Bayern und wer gar in eventuelle Neuwahlen zum Bundestag? Wer bleibt oder wird Parteivorsitzender? Und soll dieses Amt von dem des Ministerpräsidenten getrennt werden? Und wie soll die Personalentscheidung vonstatten gehen? Durch eine Entscheidung des Parteivorstandes und der mächtigen Landtagsfraktion? Oder gar durch eine Urwahl der Parteimitglieder, wie es Ilse Aigner, Bayerische Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin im Freistaat, vorgeschlagen hat? Klar ist mittlerweile, dass auch sie ihre Anwartschaft auf die Nachfolge Seehofers wieder deutlich macht.
Oberbayer vs. Franke
Der hatte bis zum Ende der Koalitionsverhandlungen einen Stopp der Personaldiskussion gefordert. Da Jamaika jetzt Geschichte ist, wird sie ab jetzt mit offenen Visieren in der christsozialen Partei geführt werden. Und dabei steht auch die Auseinandersetzung zwischen den Oberbayern und den Franken ganz oben auf der Tagesordnung, respektive das von den Medien seit Jahren breitgewalzte Verhältnis zwischen Parteichef Seehofer und dem als Kronprinzen gehandelten Finanzminister Markus Söder.
Der eine stammt aus dem oberbayerischen Ingolstadt, dem Stammsitz des Autobauers Audi, der andere aus der Frankenmetropole Nürnberg, früher Standort wichtiger Industriebetriebe. Der eine hat bundespolitische Erfahrung und betreibt, wie das im Freistaat üblich ist, eine spezifisch weiß-blaue Außenpolitik, der andere ist eher fest in der Region verwurzelt und hat bisher ein Amt in Berlin konsequent von sich gewiesen. Der eine ist katholisch, der andere evangelisch. Gemeinsam haben sie, dass Kinder nicht unbedingt einer Ehe entstammen müssen, was bei christlichsozialen Politikern, die ansonsten ein traditionelles Familiebild hochhalten, von den Medien schon mal als Politikum und nicht als schützenswerte Privatsphäre verbucht wurde.
Eisenbahn im Keller
Horst Seehofer, 68 Jahre alt, 1,94 Meter groß (Spitzname in der Schulzeit: Lulatsch). Wenn er anhebt, Angela Merkel, derzeit noch Vorsitzende der Schwesterpartei CDU, zu umarmen (was in den vergangenen zwei Jahren wegen des Streits um die Flüchtlingspolitik nur ganz kurz vor den Wahlen stattfand), dann hat man irgendwie rein physisch Angst um die Bundeskanzlerin. Seehofer erkennt man auch daran, dass er quasi permanent von seinem doch deutlich kleineren Pressesprecher Jürgen Fischer wie eine Art Trabant umkreist wird, den Mann findet man bei TV-Interviews immer in der linken oder rechten unteren Ecke des Bildschirms. Seehofer hat im Keller seines Hauses in Ingolstadt eine Spielzeugeisenbahn und - so der bisher bekannte Sachstand - keine politischen Leichen. In Ingolstadt kurierte er 2002 auch eine lebensbedrohliche Herzerkrankung aus, was ihn nach eigenen Worten den Stellenwert der Politik anders sehen ließ.
2008 gab er sein Ministeramt (Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz) in Berlin auf und ging als Retter der CSU zurück nach Bayern: Dort hatte die Partei zum ersten Mal nach vier Jahrzehnten die absolute Mehrheit verfehlt. Seehofer übernahm nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Günther Beckstein das Amt und eroberte 2013 bei den Landtagswahlen wieder die absolute Mehrheit zurück. Für die Landtagswahl 2018 erklärte der Oberbayer zunächst, er wolle nicht mehr als Spitzenkandidat antreten, machte dann aber einen Rückzieher und hielt sich alle Optionen offen. Inhaltlich steht Seehofer für die soziale Komponente der CSU und gibt sich auch als Fürsprecher der »kleinen Leute«. So kritisierte er 2004 die Gesundheitspolitik der Union als sozial nicht ausgewogen und stellte sich damit gegen die Parteimehrheit. Seit 2015 ist Seehofers Hauptkampfgebiet aber vor allem die Flüchtlingsfrage, wobei sich seine Haltung und die der CSU in dem Mantra von der »Obergrenze« niederschlägt. Oberstes Ziel von Seehofer ist und bleibt der Machterhalt der CSU in Bayern.
Auf Augenhöhe
Bei Söder wird dieses Ziel noch flankiert und gelegentlich auch schon mal überholt von dem beharrlichen Willen, dabei selbst zur Parteispitze aufzusteigen. Mit 1,94 Meter Größe auf Augenhöhe mit Seehofer meint der gebürtige Nürnberger, für dessen Amt sei er auch mit seinen 50 Jahren gut. Um dorthin zu kommen, wo Seehofer jetzt noch ist, frisst Söder selbst allerdings Kreide und lässt seine Seilschaften in der Partei arbeiten. So haben fränkische Parteipolitiker als erstes den Rückzug von Seehofer aus seinen Ämtern gefordert. Die Presse lebt seit Jahren gut von den kolportierten Feindseligkeiten zwischen den beiden Alphatieren der Partei, blieb aber bisher den wirklichen Nachweis schuldig, was denn außer Charakterzügen das politisch wirklich Unterscheidbare sei. Söder würde als Parteichef oder Ministerpräsident mehr polarisieren, heißt es derzeit, etwa von der SPD, die sich so mehr Wahlchancen ausrechnet. Dabei ist es nun wirklich schwierig, Söder eigene politische Inhalte zuzuordnen. Bemerkenswert waren bisher vor allem seine Auftritte beim fränkischen Fasching in Veitshöchheim, wo er schon mal als Shrek, ein grünes Fabelwesen mit Ohren wie Antennen, aufgetreten ist. Bemerkenswert auch sein Auftritt als Schreck der Mieter, 2013 genehmigte er als Finanzminister den Verkauf von 32 000 staatseigenen Wohnungen an einen privaten Investor, ohne dass sich der Freistaat für den Erhalt der Wohnungen in seinem Besitz einsetzte.
Söder fordert: irgendwas
Ansonsten macht der promovierte Jurist und Ex-Redakteur des Bayerischen Rundfunks gerne mit populistischen, aber meist undurchführbaren Forderungen auf sich aufmerksam und ist so für Schlagzeilen wie »Söder liebäugelt mit Burka-Verbot«, »Söder stellt Recht auf Asyl in Frage«, »Söder fordert Debatte über Grenzzäune in Europa« oder »Für Söder ist der ›Grexit‹ verkraftbar« verantwortlich. Inwiefern der derzeitige Heimatminister sich starke Sprüche auch als bayerisches Staatsoberhaupt oder Parteichef gönnen will, bleibt abzuwarten. Auch, ob ihm die Partei dahin überhaupt folgen will.
Gibt Horst Seehofer den Landesvater - und er macht dies mitunter mit einer leicht skurrilen Prise trockenen Humors -, der sich um die Menschen in den bayerischen Gauen kümmert, geht mit Söder eher das Bild des Krawall nicht abgeneigten Jungspundes einher, was er im besagten Veitshöchheim schon mal mit einem Punker-Kostüm demonstrierte.
Ilse Aigner würde neben diesem Duo die bayerische Landesmutter abgeben - sie wird derzeit wohl unterschätzt. Inwiefern sich bei diesem Schachspiel um die Macht noch andere Figuren wie etwa Law-and-Order-Mann Joachim Herrmann, der Europa-Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der Fraktion der Europäischen Volksparteien im Europäischen Parlament, Manfred Weber, oder etwa Markus Blume, Vorsitzender der Grundsatzkommission der CSU, nach vorne schieben, bleibt abzuwarten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.