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Morgen kommt kein Weihnachtsmann
Die neue Religiösität im Umfeld von Pegida und Konsorten ist ein missbräuchlicher Pseudotraditionalismus, der sich an Schokomännern und Marktbezeichnungen aufschaukelt
Ende November kam man in Deutschland stets in Stimmung. Man kaufte sich Lebkuchen, die schon seit Anfang September in den Verkaufsregalen standen, kramte die Wham-CD hervor, entschied abermals, die Geschenke für Familie und Freunde frühestens am 23. Dezember zu besorgen und beantwortete etwaige Straßenumfragen, ob man denn den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes noch kenne, mit zotigen Antworten wie: Da feiern wir den Todestag des Weihnachtsmannes - und außerdem gedenken wir der vielen gefallenen Schneeflocken bei ihrem Kampfeinsatz um ein weißes Fest. Weihnachtsstimmung halt. Alle Jahre wieder.
Zu den neuen Ritualen in Deutschland gehört es nun, sich im Vorfeld des Festes, eine Zeit die gemeinhin als Advent bezeichnet wird, über allerlei Weihnachtliches aufzuregen. Was trefflicher gesagt heißt: Man regt sich auf, weil das Weihnachtliche nicht mehr im Namen steht und man dahinter die Abschaffung abendländischer Kultur wittert. Mitte, Ende November häufen sich dann die Entrüstungen. Entweder moniert man, dass der Weihnachtsmarkt nun Wintermarkt heiße oder man schäumt, weil ein Discounter Regenbogenmänner aus Vollmilchschokolade statt eines klassischen Weinhachsmannes im Sortiment führt.
»Die wollen uns unseren Weihnachtsmann wegnehmen!«, wird geschimpft. Der gehöre nämlich nicht in schwule Regenbogenfarben auf Stanniol gedruckt, sondern so wie es klassisch gedacht ist: Ganz in Rot mit weißem Pelzbesatz und dicker Gürtelschnalle. Dass diese Aufmachung maßgeblich von Coca Cola beeinflusst wurde, als verkaufsstrategischer Ersatz für den klassisch bischöflichen Style des ursprünglichen Weinhnachtsmannes nach Vorbild des Nikolauses, muss man ja nicht unbedingt wissen. Die Adventswütigen wollen jedenfalls ihren klassischen Cola-Mann zurück. Pausbäckig und hetero in seiner zölibatären Enthaltsamkeit: Nur das zählt.
War das Weihnachtsfest noch bis vor kurzem ein reines Konsumfest, völlig isoliert von seiner eigentlich religiösen Herkunft und Entstehungsgeschichte, etabliert sich seit einigen Jahren ein neues Weihnachtsbewusstsein. Keines das zurück zu den Wurzeln möchte, das Tugenden und Werte (Stichwort: Fest der Liebe), die im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr und mehr durch Geschenkemarathon und Einkaufshype ersetzt wurden, wiederbeleben möchte. X-mas wird zu einem Abgrenzungsmerkmal, zu einer Einrichtung, die man praktischerweise dazu heranzieht, um eine Linie ziehen zu können. Weihnachten ist plötzlich ein Identitätsmerkmal geworden, nachdem es so lange nur eine Erfindung war, damit die Geschäfte mehr verkaufen.
Diese Einschätzung von Weihnachten als Geschäftsidee gehörte noch im Dezember 2002 zu den häufigsten Antworten auf die Frage, ob man denn wisse, warum dieses Fest überhaupt gefeiert würde. Fünfzehn Jahre später sieht das anders aus. So kritisch geht man nicht mehr mit dem Fest selbst um, sondern bloß mit denen, die das Geschäft um das Fest betreiben und denen man unterstellt, jetzt würden sie es aushöhlen. Als ob das nicht schon seit Jahrzehnten der Fall ist. Die neue Religiosität um das Fest ist eine ziemlich weltliche, ein an der Profanität billiger Parolen kaum zu überbietender Wahn, in dem es nicht um christliche Kulturwahrung oder Beibehaltung eines etwaigen Erbes geht: Es ist ein missbräuchlicher Pseudotraditionalismus, der sich an Schokomännern und Marktbezeichnungen aufschaukelt und so tut, als ginge es um die geistige Erneuerung des Weihnachtsfestes.
Man könnte von einem Synkretismus sprechen, von einer christlich-abendländischen Neuausrichtung mit quasireligiösen Adaptionen. Völkische Schokomänner-Ikonoklasten und identitäre Weihnachts-statt-Wintermarkt-Stürmer als Apostel neuen deutsch-christlichen Festlichkeitsbewusstseins. Mit kirchlichen Ansprüchen hat das freilich alles nichts mehr zu tun. Mit dem angeblichen Fest der Liebe Schindluder treiben: Auch das hat ja Tradition.
Penny sei übrigens empfohlen, nächstes Jahr Regenbogenmänner erst gar nicht in die Regale zu stellen. Der Discounter sollte vielleicht Schokoladenfrauen und -männer mit auf Stanniol gedruckte Konterfeis von besorgten Bürgerinnen und Bürgern anbieten. Wütende Fratzen, die eine Rute, den deutschen Pass und einen Glühweinbecher in den Händen halten. Denn das ist das Weihnachten, das diese Leute als »unser Fest« bezeichnen.
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