Aus Waldmichelbach an die Macht

Für die Landtagswahl 2018 setzt Hessens SPD auf die Verankerung in den Kommunen

  • Hans-Gerd-Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund ein Jahr vor der kommenden Landtagswahl gibt sich die hessische SPD selbstbewusst und angriffslustig. Ein Landesparteitag am Wochenende in Frankfurt am Main bekräftigte den Anspruch, nach zwei Jahrzehnten auf den Oppositionsbänken Anfang 2019 wieder in Regierungsämter zurückzukehren.

Für den mit 94,6 Prozent der Delegiertenstimmen zum Spitzenkandidaten gekürten Fraktions- und Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel ist es der dritte Anlauf auf den Chefsessel in der hessischen Staatskanzlei. Er war Ende 2008 nach dem gescheiterten Versuch, eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Duldung durch die Linksfraktion zu bilden, aus der dritten Reihe nach oben katapultiert worden. Seither ist er unangefochten die Nummer 1 im SPD-Landesverband.

Schäfer-Gümbels Vorgängerin Andrea Ypsilanti, die damals am Widerstand von vier rechtssozialdemokratischen Abweichlern in der eigenen Fraktion scheiterte, will nun nach 20 Jahren als Landtagsabgeordnete nicht wieder für ein Mandat kandidieren. Viel deutet darauf hin, dass sie sich künftig jedoch weiter in die politische Debatte einmischen wird und ohne die Zwänge eines politischen Amtes oder Mandats die Sozialdemokratie wieder ein Stück nach links rücken möchte.

TSG, wie der Landes- und Fraktionsvorsitzende intern gern von seinen Anhängern genannt wird, ist als Vizechef der Bundespartei auch ein wichtiger Akteur auf Bundesebene. Und er weiß, dass der Bundestrend für seine Partei bei der kommenden Landtagswahl keinen Auftrieb verheißt. So holte die Hessen-SPD vor zwei Monaten bei der Bundestagswahl magere 23,5 Prozent der Zweitstimmen. Umsomehr setzt Schäfer-Gümbel jetzt auf die Kommunen, um die Partei wieder voranzubringen. So listete er eine Reihe von Direktwahlen von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten auf, bei denen sich in diesem Jahr SPD-Kandidaten durchgesetzt haben. Tatsächlich siegten SPD-Bewerber in Kassel, Offenbach und Rüsselsheim ebenso wie im Werra-Meißner-Kreis und Vogelsbergkreis. Siege gab es auch in kleineren Gemeinden wie Bad Endbach oder Waldmichelbach.

»Wenn wir an uns selber glauben und die Ärmel hochkrempeln, dann gewinnen wir Wahlen - nicht nur in den Kommunen, sondern im Land«, rief Schäfer-Gümbel den Delegierten zu. »Jetzt geht es Frankfurt, dann um Wiesbaden«, umriss er die Etappen. In der Bankenmetropole stellt sich der SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann im Februar erneut zur Wahl. Er hatte 2012 als Außenseiter mit einem engagierten Wahlkampf überraschend den damaligen CDU-Bewerber und heutigen Landesminister Boris Rhein in der Direktwahl geschlagen.

»Es geht um die vielen, nicht um die wenigen«, erklärte Schäfer-Gümbel offensichtlich in Anlehnung an einer Parole des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn. Doch von einem sichtbaren Linksschwenk nach britischem Vorbild, wie es manchen Jusos vorschwebt, ist die Hessen-SPD noch weit entfernt.

Inhaltlich setzt die Partei für das Sechs-Millionen-Land zwischen Weser, Werra, Rhein und Neckar auf einen »Hessenplan 2.0«. Kernpunkte sind eine bessere Verkehrsinfrastruktur, bezahlbarer Wohnraum, Digitalisierung und Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule.

Schäfer-Gümbel tritt als Herausforderer von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier an, der es im Rentenalter noch einmal wissen will und eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden anstrebt. Bis 2013 hatte er fünf Jahre lang mit der FDP regiert. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, die schwarz-grüne Kooperation auch im Bund einzuleiten und zeigte sich daher umso enttäuschter, als die Jamaika-Sondierungen vor einer Woche in Berlin platzten.

Christdemokraten und Grüne bemühen sich um ein geräuschloses und konfliktfreies Regieren. Die einstige Ökopartei ist in vielen Fragen weit von früheren Standpunkten abgerückt. Für Unbehagen an der Grünen-Basis sorgt derzeit die Tatsache, dass Bouffier am kommenden Freitag die Wilhelm-Leuschner-Medaille und damit die höchste Auszeichnung des Landes feierlich an seinen Vorgänger Roland Koch verleihen will. Koch hatte vor zehn Jahren mit der Parole »Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen« nicht nur den grünen Spitzenmann und heutigen Wirtschaftsminister und Vizeregierungschef Tarek Al-Wazir verärgert, er galt auch stets als besonderer Hardliner der traditionell konservativen Hessen-CDU.

In der jüngsten Landtagssitzung drängten SPD und LINKE darauf, dass das Plenum die Würdigung Kochs expliziert kritisiert. Weil sie jedoch ihrem Koalitionspartner CDU nicht auf die Füße treten wollten, einigten sich die Grünen in einem hastig formulierten Entschließungsantrag mit den Christdemokraten darauf, offiziell keine Meinung zu haben. »Der Landtag anerkennt die von Ministerpräsident Dr. Georg-August Zinn verfügte Regelung, dass die Auszeichnung mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille in der alleinigen Kompetenz des hessischen Ministerpräsidenten liegt und verzichtet daher auf eine Kommentierung dieser Entscheidung durch den Hessischen Landtag«, so der Mehrheitsbeschluss. Leuschner war Gewerkschafter, hessischer Innenminister und Nazi-Gegner. Er wurde 1944 von der Nazi-Justiz zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Dessen ungeachtet werden am kommenden Freitag auch einige Grüne-Aktivisten zusammen mit Gewerkschaftern und Mitgliedern der Oppositionsparteien SPD und LINKE vor dem Wiesbadener Kurhaus gegen die Preisverleihung an Koch protestieren. Der Protest aus den Reihen der SPD wird allerdings ein Stück weit dadurch relativiert, dass neben Koch auch die amtierende Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) von Bouffier die Leuschner-Medaille erhalten wird. Zypries hat sich dem von einigen Gewerkschaftern geäußerten Wunsch, die Auszeichnung in Anwesenheit Kochs nicht anzunehmen, widersetzt.

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