Lira-Verfall wird zum Politikum

Für den türkischen Präsidenten ist eine ominöse internationale Zinslobby Verursacher der hohe Inflation und der Währungskrise

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf die türkische Wirtschaft kommen schwere Zeiten zu, wenn der gegenwärtige Abwertungstrend der Lira nicht gestoppt wird, wonach es nicht aussieht. In nur zwei Monaten hat die türkische Währung gegenüber dem US-Dollar 17 Prozent an Wert verloren und steht nur noch knapp unter der magischen Grenze von vier Lira für einen Dollar. Das in einer Zeit, in der die US-Währung selbst schwächelt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht eine »internationale Zinslobby« für den fallenden Kurs der Landeswährung und aufgrund der dadurch stark steigenden Importpreise die sich beschleunigende Inflation verantwortlich. Erdogans Argument, das er schon in früheren Krisen gebraucht hat, geht in etwa so: Wechselkursverluste oder Ereignisse, die sie hervorbringen, haben ihre Ursache in Manipulationen, die darauf setzen, dass die türkische Zentralbank mit höheren Zinsen antwortet, um dem Kapitalabfluss entgegenzuwirken und den Devisenkurs zu stabilisieren. Gerade was die Zinsen betrifft, so hat Erdogan eine ganz eigene Theorie: In hohen Zinsen sieht er den Grund für hohe Inflation. Ökonomen argumentieren indessen normalerweise ganz anders - nämlich, dass hohe Zinsen die Konjunktur bremsen und damit auch die Inflation beruhigen.

Man kann Erdogan unterstellen, dass er auch aus religiösen Gründen gegen Zinsen eingestellt ist. Die ominöse Zinslobby ist ohnehin ein von ihm gerne gebrauchter Sündenbock. Schon für die Gezi-Proteste im Sommer 2013 machte Erdogan diese neben anderen ausländischen Akteuren wie der Lufthansa und der BBC verantwortlich. Angeblich schürten Finanzakteure selbst Proteste, die es sonst nicht gegeben hätte, um anschließend von Devisenspekulationen und vor allem von den in Folge politischer Instabilität gestiegenen Zinsen zu profitieren. Eine Untersuchung der Finanzströme konnte allerdings keine Spekulationen auf den Ausbruch der Gezi-Proteste nachweisen. Es ist außerdem etwas seltsam, dass es diese Zinslobby offenbar nur in der Türkei gibt, während vielerorts die Zinsen seit Jahren sehr niedrig sind.

Die »Financial Times« sieht die Zusammenhänge genau umgekehrt: Gerade Erdogans Eindreschen auf hohe Zinsen schwäche den Kurs der Lira weiter. Die Äußerungen könnten nämlich als politische Einflussnahme auf die Zentralbank verstanden werden, die Zinsen möglichst niedrig zu halten. Das aber macht Anlagen in der Türkei unattraktiv und schwächt damit den Kurs der Lira, was wiederum die Inflation anheizt.

Ein weiterer Grund für den Wertverlust der Lira sind immer neue Krisen im Verhältnis zu den USA. Seit Wochen stellen beide Länder den Bürgern des jeweils anderen Landes keine Visa mehr aus, ausgenommen für die Einwanderung. Der Grund für die drastische Maßnahme der USA war die Inhaftierung zweier türkischer Mitarbeiter des US-Konsulats in Istanbul, die beschuldigt werden, in den gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 verwickelt gewesen zu sein. Wohl auch aus Gründen des nationalen Prestiges hat Ankara mit identischen Maßnahmen geantwortet.

Als noch größerer Stolperstein in den Beziehungen könnte sich ein Prozess in New York gegen den iranisch-türkischen Geschäftsmann Reza Zarrab erweisen. Dieser hatte mitgeholfen, US-Sanktionen gegen Iran durch einen Handel Gas gegen Gold zu umgehen. Über ein Jahr schauten die USA zu, wohl auch weil sie damals noch mit der Türkei bei der Unterstützung syrischer Oppositioneller zusammenarbeiteten. Als die USA im Juli 2013 ein Ende des Iran-Handels forderten, machte die Regierung weiter, wohl auch, weil zu viele Leute in höchsten Positionen profitierten. Daraufhin ließen der Gülen-Sekte nahestehende Staatsanwälte unter anderem die Söhne mehrerer Minister festnehmen. Im Privathaus des Direktors der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan, wurden 4,5 Millionen Dollar in Schuhkartons gefunden. Er gab später an, das Geld sei für wohltätige Zwecke gewesen.

Neben Zarrab wird nächste Woche der frühere Aslan-Vize Mehmet Hakan Atilla die Anklagebank in New York drücken. Gegen Aslan selbst und Erdogans Ex-Wirtschaftsminister Zafer Caglayan bestehen US-Haftbefehle. Dass der Halkbank wegen Beteiligung an dem Deal eine saftige Geldstrafe droht, ist noch das kleinste Problem für Erdogan. Zwar genießt er Immunität, aber Personen aus seinem Umfeld wie sein Sohn Bilal könnten angeklagt werden, wenn die jetzt vor Gericht Stehenden auspacken.

Über die ganzen Streitigkeiten geraten die realen wirtschaftlichen Folgen aus dem Blick. Einerseits hilft der niedrige Lira-Kurs der türkischen Exportindustrie und nützt der schwächelnden Tourismusbranche. Andererseits heizt er die Inflation an und macht es der türkischen Wirtschaft schwerer, ihre hohen Auslandsschulden zu bedienen. Hinzu kommen interne Verwerfungen: Viele Mieten und private Hypotheken sind auf Dollar- oder Eurobasis vereinbart. Dass der niedrige Lira-Kurs ein paar Touristen mehr nach Antalya lockt, hilft der Familie, die in Istanbul ihre teure Miete in Euro bezahlen muss, wenig.

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