Moore, Schiffe und Kräuter
Ohne die Siedler, die die Sümpfe um Papenburg trockenlegten, gäbe es die Meyer Werft nicht. Von Heidi Diehl
Frauen und Männer schuften gemeinsam für das täglich Brot und für ein besseres Leben irgendwann. »Den ersten sien Dod, den Twedden sien Not, den Dridden sien Brot«, heißt es. Tag für Tag graben sich die Siedler tiefer ins Moor, legen Kanäle an, um es zu entwässern. Bis auf den Sandboden tragen sie anschließend den Torf ab. Jeder etwa 12 000 Stücke am Tag. Eine mühsame und schwere Arbeit - und doch: Es ist die einzige Möglichkeit, die Familie zu ernähren. Im Laufe der Jahre werden Kanäle von insgesamt 43 Kilometer Länge gegraben, die nicht nur der Entwässerung dienen, sondern gleichzeitig Wasserstraßen sind, über die der Torf verschifft wird. 1639 öffnet ein in den Emsdeich gebautes Sieltor den Weg zur Ems und damit zur Nordsee.
Es braucht gar nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie die Menschen damals lebten, schon gar nicht, wenn man sich an einem Tag, an dem der Himmel alle Schleusen bis zum Anschlag geöffnet hat, auf den Weg zu den Ursprüngen Papenburgs in die Von-Velen-Anlage macht. In dem Moment, wenn man das Eingangstor durchquert, wird man schlagartig ins 17. Jahrhundert »gebeamt«. Jeder Schritt schmatzt, man läuft wie auf einem vollgesogenen Schwamm und steht schon bald vor einer der winzigen moosbedeckten Hütten. Die Vorstellung, dass hier eine Großfamilie lebte, will sich indes nur schwer einstellen. Man sieht in dem Freilichtmuseum auch das Stechwerkzeug und Berge von Torfstücken. Und man zieht innerlich ganz tief den Hut vor den Helden, ohne die Papenburg niemals geworden wäre, was es heute ist: eine attraktive, lebenswerte Kleinstadt, deren guter Ruf rund um die Welt getragen wird.
Dafür steht in erster Linie die Meyer Werft Pate, die ihre Existenz letztlich auch den Torfstechern verdankt. Denn ohne sie würden heute nicht mehrfach im Jahr Riesenpötte die Werft über die Ems in die Nordsee verlassen können.
Gegründet wurde das Unternehmen Werft 1764 von Willm Rolf Meyer als Holzschiffswerft. Doch während die vielen anderen Werften nach und nach verschwanden - 1920 gab es in Papenburg noch 20 -, schaffte es das heute in siebter Generation geführte Familienunternehmen als einziges ins 21. Jahrhundert. Zu verdanken ist das insbesondere dem Sohn des Gründers, Joseph L. Meyer, der schon 1872 begann, Stahlrumpfschiffe mit Dampfmaschinenantrieb zu bauen. Waren es über viele Jahre Fischdampfer, Lotsenboote und Feuerschiffe, die hier vom Stapel liefen, so hat sich die Werft seit Mitte der 1980er Jahre vor allem durch den Bau von Kreuzfahrtschiffen einen Namen gemacht. Das erste war 1985 die »Homeric«, es ist bis heute auch das einzige, das jemals in die Werft zurückkehrte: 1990, da wurde es hier um 40 Meter auf 244 Meter verlängert.
Seitdem haben viele Kreuzfahrtschiffe die Werft verlassen und sind auf allen Weltmeeren unterwegs. Gebaut werden die Schiffe nach dem Legoprinzip - Steinchen für Steinchen wird aneinandergefügt, ehe nach zwei bis drei Jahren Zeit für den Stapellauf ist. Derzeit befindet sich die »AIDAnova« in der gewaltigen überdachten Baudockhalle, die mit ihren Ausmaßen von 504 Meter Länge, 125 Meter Breite und 75 Meter Höhe die weltweit größte ihrer Art ist. Besucher können den Arbeitern durch eine Glasscheibe bei der Arbeit zuschauen.
Rund 250 000 kommen alljährlich, um mitzuerleben, wie ein neues Kreuzfahrtschiff wächst. Im 2015 eröffneten Besucherzentrum ist aber nicht nur ein Blick hinter die Kulissen der Werft möglich, man erfährt auch vieles über die Geschichte des Traditionsunternehmens. Wer will, kann die zuhause Gebliebenen auch ein bisschen neidisch machen und ihnen vorgaukeln, man sei tatsächlich auf Kreuzfahrt gewesen. Dazu reicht es, ein Selfie in einer der zahlreichen original ausgestatteten Musterkabinen verschiedener Schiffe zu machen und in den sozialen Medien zu posten. Und wer wissen will, wo sich das Original derzeit tatsächlich befindet, erfährt das auf einer großen elektronischen Seekarte, auf der man die Ozeanriesen live begleiten kann.
Zahlreiche Besucher zieht es auch alljährlich nach Papenburg, um bei dem Spektakel dabei zu sein, wenn wieder ein fertiges Schiff auf seine erste Reise geht - die Emspassage. 2018 wird das zwei Mal passieren: Im Frühjahr verlässt die »Norwegian Bliss« und im Herbst die »AIDAnova« die Werft. Dann stehen wieder Hunderte Schaulustige am Kanal, schauen zu, wie sich das Schiff Meter für Meter seinen Weg durch den engen Kanal bahnt, und wünschen ihm Glück auf allen Wegen. Und so manch einer träumt sich dabei sicher mit ihm fort, irgendwohin, wo die Welt Abenteuer verspricht.
Fortgeträumt haben sich sicher auch oft jene ersten Helden, die den Grundstock für die heute 36 000 Einwohner zählende Stadt legten. Ohne die Torfstecher gäbe es auch die Gartenbauzentrale nicht. Deren Mitarbeiter bauen auf Flächen, die die ersten Siedler und ihre Nachfahren einst trockenlegten, einen großen Teil der Kräuter an, die zwischen Flensburg und München in fast allen Supermärkten in kleinen Töpfchen verkauft werden - 80 Millionen Stück jährlich, zwei Drittel davon in Bioqualität. Auch 35 Millionen Salatgurken treten von hier aus alljährlich die Reise quer durch Deutschland an. Auf 26 500 Hektar wachsen Kräuter, Gemüse und Zierpflanzen im Freiland und auf 23 000 Quadratmetern unter Hallendächern. Angefangen hat 1931 alles mit 15 Hektar Freifläche und 10 000 Quadratmetern unter Glas. Heute ist der Betrieb mit insgesamt knapp 2200 Mitarbeitern der zweitgrößte Arbeitgeber hinter der Meyer Werft, die 3400 Menschen beschäftigt.
Längst schon hat sich Papenburg zu einem beliebten Touristenziel entwickelt. Die älteste Fehnkolonie Deutschlands (Fehn sagt man in Norddeutschland zu Moor oder Sumpf) hat zu jeder Jahreszeit allerhand zu bieten: vom Bummel entlang der alten Kanäle über die Besichtigung historischer Gebäude oder der Meyer Werft bis hin zu einem Besuch im »Papenbörger Hus«, einem alten Ackerbürgerhaus in der Von-Velen-Anlage. Dort kann man nicht nur den Bauckweiten-Janhinnerk (einen Buchweizeneierkuchen mit Preiselbeeren) und echten ostfriesischen Tee probieren, sondern auch vieles über das Leben der Vorväter erfahren.
Und sollte es mal wieder gießen wie aus Kannen - was in Papenburg gar nicht so selten sein soll - dann gibt es noch eine amüsante, trockene Alternative, die Stadt kennenzulernen - eine Lachbustour. Dazu lädt Comedian und Gästeführer Holger Müller ein, der dem einen oder anderen auch als »Ausbilder Schmidt« aus der gleichnamigen Comedy-Sendung bekannt ist. Bei dieser »Show auf vier Rädern« bleibt garantiert kein Auge trocken.
Infos
Touristische Infos:
Tel.: (04961) 839 60
www.papenburg-marketing.de
Hier können auch Besuche in der Meyer Werft gebucht werden.
Meyer Werft:
www.meyerwerft.de
Von-Velen-Anlage: www.von-velen-anlage.de
Gartenbauzentrale: www.gbz-papenburg.de
Lachbustour:
www.lachbustour.de
Literatur: Knut Diers, »Mörderisches Emsland – Krimineller Freizeitführer«, 11 Krimis und 125 Freizeittipps, 281 S., 11,99 €, E-Book 9,99 €
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