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Lebensmittel sind eine Baustelle
In Deutschland gibt es immer mehr Ernährungsräte. Für Berlin ist nun eine Aktionskonferenz angesetzt
Das hängt von den Beteiligten ab. Wir haben uns aber im Sprecher_innenrat schon mal Gedanken gemacht und haben drei Themenbereiche vorgeschlagen, in denen wir uns vorstellen können, aktiv zu werden. Einer davon ist die städtische Gemeinschaftsverpflegung. Sie ist wichtig für die urbane Ernährungspolitik und kann ein Vorbild werden. An diesem Feld hat der Senat auch Interesse und will da aktiv werden.
Christine Pohl ist Koordinatorin und eine von 13 Sprecher_innen des Berliner Ernährungsrats. Dieser fordert vom Berliner Senat, regionale Wertschöpfungskreisläufe zu unterstützen und gegen Verpackungsmüll einzuschreiten - kurzum: eine demokratische, nachhaltige Ernährungsstrategie für die Stadt. Nun plant das Team konkrete Aktivitäten. Mit Christine Pohl sprach Ralf Hutter für »nd«.
Foto: privat
Was bedeutet »städtische Gemeinschaftsverpflegung«?
Dazu gehören alle Einrichtungen, die vom Land Berlin verpflegt werden: Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, öffentliche Kantinen. Die Betreiber sind nicht alle öffentlich, aber auf die Auftragsvergabe an die Essenslieferanten kann der Senat ja immer Einfluss nehmen.
Wo wollen Sie noch aktiv werden?
Ein zweites Themenfeld sind »LebensMittelPunkte«. Sie kommen in unserem Forderungskatalog an mehreren Stellen vor. An den »LebensMittelPunkten« sollen Lebensmittel gehandelt und verarbeitet werden, Kiezküchen entstehen, überflüssige Lebensmittel verteilt werden können und Abholstellen für Solidarische Landwirtschaftsinitiativen eingerichtet werden. Da sollen aber auch einfach Menschen zusammenkommen können.
Die Leitidee in Ihrem Forderungskatalog scheint die »Relokalisierung« zu sein. Kann sich denn die Hauptstadtregion selbst versorgen?
Das ist nicht das, was damit gemeint ist. Aber laut einer Studie der Universität Halle-Wittenberg könnte sich Berlin zu 76 Prozent aus Brandenburg versorgen, wenn Brandenburg mehr Obst und Gemüse produzieren würde und weniger Energie- und Futterpflanzen wie Mais. Wir sind nicht gegen exotische Produkte oder einen Handel mit anderen Regionen, sondern für die Nutzung und Stärkung der Potenziale, die es in der Region gibt.
Im Forderungskatalog ist zum Beispiel ein »Innovationscampus« enthalten, auf dem sich Wissenschaft und Wirtschaft begegnen sollen. Haben Sie ausgerechnet, wie viel Geld der Senat investieren müsste, um den Katalog umzusetzen?
Nein. Das sehen wir nicht als unsere Aufgabe an. Wir haben zusammengetragen, was passieren müsste. Der Senat hat vor, 2018 eine Ernährungsstrategie zu entwickeln. Dabei müssen die Kosten dann eine Rolle spielen. Wir haben jetzt aber nicht nur Forderungen gestellt, bei denen wir ausgerechnet haben, wie realistisch sie sind. Dann hätten wir sie alle bewerten und die weniger wichtigen streichen müssen. Wir wissen ja auch gar nicht, wie viel Geld zur Verfügung steht - das muss politisch ausgehandelt werden.
Schon älter als der Ernährungsrat ist das vom Berliner Senat eingerichtete »Forum für gutes Essen«, an dem auch die Lebensmittelindustrie beteiligt ist. Was passiert dort?
Das hat noch nicht getagt, seit die neue Regierung im Amt ist. Die Akteure sollen reaktiviert werden, aber wohl in einer neuen partizipativen Struktur.
Die Webseite ernaehrungsraete.de listet die wachsende Zahl der deutschsprachigen Ernährungsräte auf. Grund zum Optimismus?
Da bin ich auf jeden Fall sehr optimistisch. Wir hatten im November in Essen den Kongress zur Vernetzung im deutschsprachigen Raum, zu dem Menschen aus 40 Städten und Regionen kamen. Sie haben entweder schon Ernährungsräte gegründet, oder sind daran interessiert. Da war unheimlich viel Energie und Motivation, es ist schon eine Bewegung entstanden.
Bei dem Kongress haben Gäste vorgetragen, die seit Jahren in Ernährungsräten in Brasilien, USA, Kanada, England und Wales aktiv sind. Was haben Sie von ihnen gelernt?Für mich war eine wichtige Erkenntnis, dass in den USA, in Kanada und Brasilien vor allem soziale Gerechtigkeit und Ernährungsarmut bei der Gründung von Ernährungsräten eine Rolle gespielt haben. Im deutschsprachigen Raum spielen Umweltfragen und Nachhaltigkeit eine größere Rolle. Eine weitere Erkenntnis: Jeder Rat ist anders strukturiert.
Ernährungsräte im Aufwind
Ernährungsräte setzen sich für den Aufbau demokratischer Ernährungssysteme in einer Stadt oder Region ein. Je nach örtlicher Problemlage haben sie zum Beispiel Ökologie, Fairen Handel, Arbeitsbedingungen und Nahrungsmittelqualität im Fokus.
2016 wurden in Köln und Berlin Ernährungsräte gegründet. Während der in Köln institutionell eingebunden ist, versteht sich der in Berlin als Druckmittel der Zivilgesellschaft auf die Landesregierung, die zuvor schon eine eigene ähnliche Einrichtung geschaffen hatte. Seit Ende August wurden Ernährungsräte in Frankfurt (Main), Dresden und Oldenburg ins Leben gerufen, entsprechende Initiativen treffen sich in Hamburg, Wiesbaden und Saarbrücken. In Kiel wird am 24. Januar ein Ernährungsrat gegründet - ganz offiziell im Rathaus.
Der Berliner Ernährungsrat hat dem Senat eben einen Forderungskatalog für eine regionale Ernährungsdemokratie überreicht. Für kommenden Samstag lädt der Rat all diejenigen ein, die mit darüber nachdenken wollen, wie diese Forderungen konkret umgesetzt werden können.
Infos gibt es unter: ernaehrungsrat-berlin.de und ernaehrungsraete.de
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