Was die LINKE von den Waldbesetzern im Hambacher Forst lernen kann

Plädoyer dafür, sich auf die Wurzeln der linken Bewegung zurück zu besinnen: Auf Antimilitarismus, Antirassismus und Klimagerechtigkeit

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 7 Min.

Schlamm klebt an den Schuhen. Wind bläst feinen Regen ins Gesicht. Kälte kriecht unter die Kleidung. Ben, mein Mitarbeiter, und ich sind im Hambacher Forst. Wir frieren, bald ist Winter. Fünf Jahre ist es her, dass hier, knapp 20 S-Bahn-Minuten vom Kölner Dom, Menschen einen der ältesten Eichenwälder Europas besetzten. Jedenfalls das, was davon übrig geblieben ist. Sie bauen Baumhäuser, stellen sich Kettensägen und Polizei-Schlagstöcken entgegen. Junge Studentinnen, Männer, Jugendliche aus der Umgebung, aus anderen Ländern, es ist ein bunter Haufen. Alle leisten Widerstand, wehren sich gegen die Rodungen durch den Energieriesen RWE, der den Kohleabbau im rheinischen Braunkohlerevier auf Gedeih und Verderben vorantreibt. Koste es, was es wolle.

Eigentlich wollte ich als »Parlamentarischer Beobachter« vor Ort sein, wenn die Polizei anrückt, um den Wald - der auf dem Privatgelände von RWE steht - zu räumen, damit die Bagger ihr Zerstörungswerk am letzten Rest Natur vollenden. Doch dann, im letzten Augenblick, hat ein Gericht einen Rodungsstopp verfügt, eine kurze Atempause für die Waldschützer. Jetzt führen wir Gespräche, tauschen Handynummern aus, versuchen uns in die Lage der Klimaretter zu versetzen. Der nächste Polizeieinsatz wird sicher kommen: Wir werden dann wieder vor Ort sein, wenn die Waldbesetzer*innen unsere Unterstützung brauchen, und der nicht selten übergriffigen Polizei auf die schwarzen Lederhandschuhe gucken.

Noch ist unklar, wie lange der Rodungsstopp anhält. Jetzt heißt es, auf das nächste Urteil warten. Atem schöpfen. Die Ruhe vor dem Sturm. Eine eigene kleine Gemeinschaft haben sie sich aufgebaut. Ganze Dörfer aus Baumhäusern, nicht nur am Boden verankert, auch hoch oben in den Baumwipfeln. Mit Namen wie »Oak Town« oder »Gallien«. Mit Reparaturwerkstätten, Gemeinschaftsküchen, einer »town hall«. Es ist der Versuch, unter widrigen Umständen ein solidarisches Miteinander zu leben. In diesem Wald-Kosmos am Rande des größten Braunkohletagebaus Deutschlands gibt es die gleichen Konflikte wie in allen linken Projekten: Wie weit darf der Aktionismus gehen? Wie halten wir es mit Gewalt, was verstehen wir überhaupt darunter? Wie gehen wir mit bürgerlichen und kirchlichen Gruppen um, mit den Anwohner*innen, die uns unterstützen? Berichtet wird uns von langen Debatten, vom Ringen um einen Konsens, der doch nicht immer gefunden wird.

Beeindruckend ist das grundlegende Verständnis des eigenen Tuns: Da finden sich Transparente, Spruchbänder, Schilder, die auf antirassistische Praxis, auf Flüchtlingssolidarität verweisen, das Bewusstsein deutlich machen, Teil globaler, linker Kämpfe zu sein. Nicht allein um Klimagerechtigkeit, auch gegen Landnahme von Unternehmen, Ausbeutung, Unterdrückung. Queer-feministische Positionen, antifaschistische, antimilitaristische, antikapitalistische und anarchistische Positionen finden sich überall im Wald. Es ist das Ringen um eine solidarische Gesellschaft, in die sich die widerständige Praxis im Hambacher Forst einfügt.

Es ist der Sand, der das Räderwerk des Kapitalismus noch nicht zum Stillstand bringt, aber merklich knirschen lässt. Als wir am zweiten Tag im Wald erfahren, dass die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE vor dem Oberlandesgericht in Hamm zugelassen worden ist, ist der Jubel nicht nur bei uns groß: Der Bauer hat den Großkonzern wegen der Folgen des Klimawandels verklagt. Jetzt wird in die Beweisaufnahme eingestiegen, was ein bislang weltweit einmaliger Fall ist. Noch nie wurde eine Klage gegen einen Großkonzern wegen Verursachung der Klimaerwärmung überhaupt zugelassen. Die Beweiskette, die aufgespannt werden kann, wird exemplarisch die Folgen aufzeigen, die der ungehemmte Ressourcenverbrauch der Industriestaaten für den globalen Süden hat. Die Notwendigkeit dessen, was bei der Klimademonstration in Bonn anlässlich des Weltklimagipfels, bei den Aktionen von »Ende Gelände« oder bei der Besetzung des Hambacher Forsts allerorten zu hören und lesen ist, wird hier greifbar: »System change, not climate change«. Ohne eine andere, solidarische Gesellschaft, ohne eine Abkehr vom Kapitalismus, wird es nichts mit der Bekämpfung des Klimawandels.

Im Hambacher Wald werden Kapitalismus und Klimawandel global gedacht und lokal gehandelt, ganz konkret. Liest man die Thesen zu den politischen Schwerpunkten der Linksfraktion im Bundestag der beiden Vorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, fällt gerade in dieser Frage eine Unkonkretheit auf, die den kommenden Herausforderungen nicht gerecht wird: Völlig unverbunden steht da der Ruf nach neuen Industriearbeitsplätzen. Und das laue Bekenntnis, sich »weiter für einen sozial-ökologischen Umbau« einzusetzen. Keine Aussage darüber, in welchen Bereichen die neuen Industriearbeitsplätze zu schaffen wären. Kein Wort darüber, wie die Industrie umzugestalten sei, um den Ansprüchen an einen sozial-ökologischen Umbau gerecht zu werden. Auch kein Wort über zentrale Fragen: Wie stellen wir uns eine ökologische Verkehrswende vor? Wie fördern wir solidarische und genossenschaftliche Produktionsweisen in der Energiewende? Wie kann der Kohleausstieg gelingen und welche sozialen Ausgleichsmaßnahmen sind für die betroffenen Regionen nötig? Wie können wir die Forderung nach Gerechtigkeit für den globalen Süden unterstützen, die auch auf dem letzten Weltklimagipfel wieder von den Industriestaaten zurückgewiesen wurde? An diesem Thema wird deutlich, was sich durch das gesamte »Strategiepapier« zieht: Eine Ratlosigkeit angesichts kommender Herausforderungen.

Antimilitarismus im Wald

Die Strategie für die nächsten vier Jahre linker Opposition im Parlament ist gar ein Rückschritt hinter unser Wahlprogramm. Kernthemen der Linken, wie der Kampf gegen Hartz IV und friedenspolitische Positionen, werden begrifflich geschliffen. Etwa wenn nicht mehr vom Abzug der Bundeswehr aus »Auslandseinsätzen«, sondern aus »Kampfeinsätzen« die Rede ist. Man möge sich nur mal den Spaß machen, zu schauen, welche Einsätze die Bundesregierung überhaupt als Kampfeinsätze definiert. Der Einsatz in Afghanistan beispielsweise zählt nicht dazu. Fordert die LINKE im Parlament jetzt also keinen Abzug der »Parlamentsarmee« vom Hindukusch?

Hier ist der konsequente Antimilitarismus der Waldleute weiter, der die Ablehnung jeglicher Rüstungsproduktion verbindet mit der Einsicht: »Krieg beginnt« hier. Da ist klar, dass die Gier nach Profiten und Ressourcen ursächlich ist, dass diese Gesellschaft Kriege hervorbringt. Wenig erstaunlich ist darum die Position vieler junger Waldbesetzer, die wir im Gespräch zu hören bekommen: Man würde ja die Linkspartei wählen, im Kern sei das ja richtig, auch über einen Parteieintritt sei nachgedacht worden. Aber solange die LINKE nicht klar beim Thema Antirassismus sei, komme das nicht in Frage.

Da kann man selbst lange argumentieren: »Dann tretet doch ein und lasst uns in der Partei für klare Positionen streiten.« Oder: »Das Programm und die Praxis der Linksfraktion zeigen doch, dass die LINKE klare antirassistische Positionen vertritt.« Die immer aufs Neue wiederholten Versuche einiger Verantwortungsträger*innen aus Partei und Fraktion, ans rassistische Ressentiment anzuknüpfen und »Biodeutsche« gegen Geflüchtete auszuspielen, Solidarität auf den nationalen Kontext zu begrenzen und so die Grundpositionen unseres Parteiprogramms öffentlich in Frage zu stellen, sprechen eine andere Sprache. Eine Sprache, die links denkende Menschen abschreckt.

Wenn die Gesellschaft nach rechts rückt, wenn selbst die Grünen bereit sind, für Regierungsbeteiligungen »atmende Rahmen« zu akzeptieren, wenn neonazistische Positionen, die noch inakzeptabel waren, als sie von der NPD kamen, mittlerweile ihren Platz in den allabendlichen Talkshows haben, ist es notwendig, dass sich die Linke im Parlament und in der Gesellschaft umso mehr positioniert als die Kraft, die um Perspektiven für eine ganz andere Gesellschaft ringt. Von den internationalen Kämpfen um Klimagerechtigkeit, vom Kleinbauern aus Peru genauso wie von »Ende Gelände« oder den Menschen im Hambacher Forst können wir alle lernen, uns auf die Wurzeln linker Bewegung zu besinnen: Grenzenlose Solidarität, widerständige Praxis und das Bewusstsein, dass die Kämpfe gegen unterschiedliche Formen von Herrschaft, für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen zusammengehören.

Dieser Beitrag erschien in abgeänderter Form auf www.diefreiheitsliebe.de

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