Das System hat sich bewährt

Trotz neuem OECD-Bericht: Gert G. Wagner hält die beitragsfinanzierte Rente für die richtige Absicherung im Alter

  • Gert G. Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.
Diese Woche wurde von einem internationalen OECD-Vergleich berichtet, der - keineswegs überraschend - zeigt, dass Geringverdiener in Deutschland im Alter von der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente bekommen, die etwa 55 Prozent ihres früheren Nettogehalts entspricht. Das ist im Vergleich der OECD-Länder unterdurchschnittlich, wobei aber nicht nur Großbritannien und die USA niedrig liegen, sondern auch Sozialstaaten wie Frankreich und Schweden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob das deutsche System nachhaltig sein kann. Und manche fragen sich, ob nicht ein Abschied von der beitragsfinanzierten Versicherung hin zu einer steuerfinanzierten Altersversorgung sinnvoll wäre.

Die beitragsfinanzierte gesetzliche Rente ist alles in allem eine solide Altersversorgung für Normalverdiener. Man muss berücksichtigen, dass es die meisten Menschen als gerecht empfinden, wenn diejenigen, die mehr verdienen als andere und mehr Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen, im Alter auch eine höhere Rente bekommen. Was bei vielen Menschen aber durchaus nicht ausschließt, dass sie es für sinnvoll und auch gerecht halten, dass diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen sind, die als Almosen empfunden wird.

In vielen Ländern gibt es deswegen Rentenformeln, die die Beiträge, die von Geringverdienern gezahlt werden, für die spätere Rente höher bewerten als die Beiträge von Normal- und Gutverdienern. Dies gilt nicht nur in den an der Spitze des Rentenniveaus für Geringverdiener liegenden Länder Dänemark und Niederlande, sondern auch für Großbritannien und - traditionell - die USA. Aber in beiden Ländern bekommen Geringverdiener keine wesentliche höhere Rente (in den USA) oder sogar eine niedrigere Rente als in Deutschland (in Großbritannien). Das liegt daran, dass das allgemeine Rentenniveau in den beiden Ländern sehr niedrig ist.

Begünstigungen für Geringverdiener bringen also nichts, wenn das Rentensystem insgesamt wenig bringt. Und diese Gefahr droht immer dann, wenn es steuerfinanziert wäre oder ein hoher steuerfinanzierter Zuschuss gezahlt wird (wie in Deutschland). Denn aus der Zahlung von Steuern kann man keine individuellen Ansprüche ableiten, und wenn die Staatsfinanzen unter Druck sind, kann mit einem Federstrich die Rente gekürzt werden. Davor sind beitragsfinanzierte Renten auch nicht total geschützt, aber insbesondere in Deutschland, wo die Rentenversicherung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen wird, sind ad hoc Rentenkürzungen nahezu ausgeschlossen - was natürlich langfristige Veränderungen nicht ausschließt, wie wir mit dem planmäßigen Absinken des Rentenniveaus bis 2030 ja auch sehen.

Eine an die frühere Beitragszahlung anknüpfende Mindestrente, die ohne den Gang zum Sozialamt gezahlt würde, wird von vielen als gerecht angesehen. Freilich schließt sie Altersarmut nicht aus, wenn etwa noch eine Familie mit Kindern zu versorgen ist. Und die Akzeptanz der Mindestrente steht und fällt mit ihrer Höhe. Die ist aber nicht automatisch hoch - wie man in Großbritannien und USA beobachten kann.

In Deutschland wollen alle Parteien Altersarmut im Rahmen des bestehenden Systems bekämpfen. Bereits Ex-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2012 mit der »Zuschussrente« einen Vorschlag zur Mindestsicherung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht, für den sie aber keine Mehrheit fand. Im November 2016 hatte Andrea Nahles (SPD) das Konzept der »Solidarrente« vorgelegt, das für Versicherte, die 35 Jahre Beiträge gezahlt haben, eine Mindestrente vorsieht, die mindestens zehn Prozent über dem Hartz-IV-Anspruch liegt. Dies ist ein Vorschlag, der in das System der Altersversorgung in Deutschland passt und in Koalitionsverhandlungen diskutierbar wäre.

Dabei gibt es keine Patentlösung. Politische Entscheidungen, die möglichst nachhaltig sind, sind gefragt. Dazu sei angemerkt: Angesichts der Komplexität der Alterssicherung und der Erfahrung, dass nur bei breiter Akzeptanz von Reformen deren mittel- und langfristige Nachhaltigkeit erwartet werden kann, ist eine Große Koalition gar nicht so schlecht. Noch mehr langfristigen Konsens würde aber vielleicht der Gesprächs- und Verhandlungsbedarf erzeugen, unter dem eine Minderheitsregierung agieren müsste.

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