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»Wir müssen Caracas neu denken«
Der linkschavistische Kandidat Eduardo Samán fordert in Caracas die Regierung heraus
Kurz nach den verlorenen Regionalwahlen Mitte Oktober verkündeten die größten Oppositionsparteien in Venezuela ihren Boykott der Kommunalwahlen am 10. Dezember. Dadurch haben sich Räume für alternative Kandidaturen im linken Spektrum geöffnet. Interessant ist die Situation in der chavistischen Hochburg Municipio Libertador, das sich im Westen der venezolanischen Hauptstadt Caracas erstreckt. Neben der Kandidatin der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Erika Farias, treten hier unter anderem der Linkschavist Eduardo Samán sowie der Mitte-Links-Kandidat Nicmer Evans an, der bis Juli dieses Jahres der PSUV-Abspaltung Marea Socialista angehörte.
Bei der Bürgermeisterwahl in Caracas treten Sie als Chavist gegen die Regierungskandidatin Erika Farías von der PSUV an, der sie lange angehörten. Wie kam es dazu?
Weder ich noch die Parteien Vaterland für alle (PPT) und die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) hatten ursprünglich die Absicht, gegen die PSUV zu kandidieren. Das Ziel war, wie bei vorangegangenen Wahlen im Bündnis »Großer Patriotischer Pol« gemeinsam anzutreten. Doch nachdem die wichtigsten rechten Oppositionsparteien einen Boykott der Kommunalwahlen ankündigten, hat die Regierungspartei in den meisten Gemeinden keine echte Konkurrenz mehr. Deshalb zeigte sie keinerlei Interesse daran, sich mit den verbündeten Parteien abzustimmen, sondern setzte auf überhebliche Art und Weise die eigenen Kandidaten von oben durch. Und der Nationale Wahlrat (CNE) wollte meine Kandidatur ursprünglich gar nicht zulassen. Erst nach Protesten tat er dies dann doch, aber ich erscheine nicht auf dem Bildschirm der Wahlmaschinen.
Eduardo Samán leitete zwischen 2008 und 2014 mit Unterbrechung die Verbraucherschutzbehörde Indepabis in Venezuela, von 2009 bis 2010 war er kurzzeitig Handelsminister. Aufgrund seines Eintretens gegen korrupte Strukturen im Lebensmittelsektor machte sich der 53-Jährige einen Namen. Im Juni 2017 verließ er die Regierungspartei und schloss sich der kleineren chavistischen Partei PPT (Heimatland für alle) an, die aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist. Vor den Kommunalwahlen am 10. Dezember sprach mit ihm Tobias Lambert.
Foto: privat
Sondern?
PPT und PCV hatten sich für die Wahlen mit eigenen Kandidaten als Platzhalter registriert, hätten diese aber im Falle einer Übereinkunft mit der PSUV wieder zurückgezogen. Nachdem daraus nichts geworden ist, wollten sie die jeweiligen Kandidaten durch meinen Namen ersetzen. Aber der CNE verhinderte dies aufgrund vorgeschobener, technischer Gründe.
Das heißt, wer Samán wählen will, muss am Bildschirm auf einen anderen Namen klicken?Genau. Ich bin der einzige Kandidat, dessen Name dort nicht erscheint. Die große Herausforderung unseres Wahlkampfes ist es, die Menschen darüber aufzuklären, dass sie mich wählen, wenn sie PPT und PCV ihre Stimme geben. Wer versteht, was da vor sich geht, ist häufig derart empört, dass er mich erst recht unterstützt. Wir müssen auch gezielt gestreuten Gerüchten entgegentreten, wonach ich angeblich meine Kandidatur zurückgezogen hätte. Das ist alles nicht einfach, zumal ich einer medialen Blockade ausgesetzt bin.
Inwiefern?
Die staatlichen Medien haben die Anweisung, nicht über mich zu berichten und die privaten erhalten Drohungen. Das Ziel besteht darin, meine Kandidatur unsichtbar zu machen. Wir sind vor allem auf der Straße, in sozialen Medien und dem kleinen Sektor der kommunitären Medien präsent. Durch mutige Journalisten gelingt es aber manchmal, die Blockade in den klassischen Medien zu durchbrechen.
Warum wehrt sch die PSUV derart gegen Ihre Kandidatur, wovor hat die Regierung Angst?
In der Partei haben reformistische Strömungen die Oberhand gewonnen, die eine kapitalistische Modernisierung anstreben. In der Verfassunggebenden Versammlung wird derzeit zum Beispiel über ein Gesetz diskutiert, das ausländischen Investoren Anreize bieten soll. Ich glaube hingegen an einen Sozialismus von unten, einen Sozialismus der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das Bürgermeisteramt des Municipio Libertador ist ohne Zweifel der bedeutendste Posten innerhalb von Caracas. Es geht der PSUV aber in diesem Fall gar nicht in erster Line um dieses Amt. Innerhalb der Partei haben sie schlicht Angst davor, dass sich eine neue linke, marxistische Referenz innerhalb des Chavismus herausbildet.
Abgesehen von dieser symbolischen Bedeutung der Wahl. Was ist Ihr konkretes Programm für Caracas?
Ein Programm arbeiten wir kollektiv in Versammlungen aus. Zuallererst muss es darum gehen, die Lebensadern der Stadt zu retten. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Elektrizität wurde völlig vernachlässigt. Und wegen der prekären Sicherheitslage schließen wir uns in Caracas nach 18 Uhr zu Hause ein. Caracas hat sich im Schatten des Erdölbooms entwickelt, doch das Erdöl generiert nicht mehr ausreichend Einnahmen. Deshalb müssen wir die Stadt neu denken. Wir müssen aus Caracas eine produktive Stadt machen, die nicht mehr von der Erdölrente abhängt und in der es Arbeit gibt, die nicht auf Ausbeutung basiert. Dabei spielt neben dem Aufbau von Industrien auch die urbane und semiurbane Landwirtschaft eine Rolle.
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