Ovationen und Unverständnis
Der DFB zwischen seinem Jahrhundertprojekt und problematischer Basisarbeit
Der DFB-Bundestag verabschiedet das Jahrhundertprojekt der Akademie, erteilt dem Grundlagenvertrag die zweite Zustimmung und einigt sich auf eine Zwischenlösung zur Regionalligastruktur.
Von Frank Hellmann,
Frankfurt am Main
Mit emotionalen Höhepunkten bei einem Außerordentlichen Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist es mitunter schwierig. Insofern hätte es bei der Zusammenkunft an der Frankfurter Messe vermutlich keinen besseren gegeben, als Philipp Lahm auf die Bühne zu bitten, um den Weltmeisterkapitän zum Ehrenspielführer zu ernennen. Bundestrainer Joachim Löw würdigte in seiner Laudatio den 113-fachen Nationalspieler als »besonderen Menschen«. Der 34-Jährige bedankte sich artig - und ging dann selbst ans Rednerpult, nachdem er noch zum Botschafter der deutschen EM-Bewerbung 2024 ernannt wurde. »Ich empfinde es als Auftrag, das Ansehen des Fußballs hoch zu halten.« Dabei stellte der gebürtige Münchner die Integrationskraft besonders heraus. »Früher hießen meine Vorbilder Rudi und Jürgen, später waren meine Mitspieler Mesut und Jérôme: Der Fußball spiegelt die Vielfalt und Gesellschaft wider.«
Die stehenden Ovationen zum Lahm-Akt haben sicherlich nicht geschadet, dass die wichtigsten Tagesordnungspunkte danach die Abstimmungen überstanden. Für die neue Akademie gab es ebenso einstimmig grünes Licht wie für eine lange unbekannte Zusatzvereinbarung im Grundlagenvertrag, die die Zahlungsflüsse zwischen DFB und Deutscher Fußball Liga (DFL) regelt. Auch die erst tags zuvor ausgetüftelte Zwischenlösung zur Regionalligareform mit einer höheren Durchlässigkeit zur Dritten Liga wurde von den 259 Delegierten verabschiedet - allerdings mit elf Gegenstimmen und 28 Enthaltungen.
Gleichwohl belobigte DFB-Präsident Reinhard Grindel die von ihm gerne beschworene Einheit im Saal »Harmonie«. »Das war ein außerordentlich guter Bundestag«, befand der 56-Jährige im Nachgang. Allerdings sind die Spannungen mit der DFL nicht mehr zu leugnen. Während Grindel beteuerte, die deutschen Schiedsrichter seien »die besten in Europa und vielleicht in der Welt« und das Projekt mit dem Videoassistenten werde zu einem »erfolgreichen Ende« geführt, betonte Ligapräsident Reinhard Rauball: »Es gibt offensichtlich Handlungsbedarf im Schiedsrichterwesen, der nicht ignoriert werden darf.«
Dem DFB-Chef dürfte zudem nicht entgangen sein, dass ihm immer noch eine spürbare Distanz entgegenschlägt, wie sich aus dem spärlichen Applaus zu seiner Rede ablesen ließ. Immerhin fällt in seine Amtszeit mit dem nun legitimierten Bau einer »neuen Heimat« eine historische Investition. Für das »Jahrhundertprojekt« hatten Schatzmeister Stephan Osnabrügge und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff in langen Präsentationen geworben. Der eine versicherte, dass der Verband trotz der im schlechtesten Fall auf 150 Millionen Euro gestiegenen Kosten »solide gerechnet« (Osnabrügge) habe, der andere beteuerte, wie wichtig ein »Think Tank« sei, um als »Dienstleister des deutschen Fußballs« (Bierhoff) aufzutreten. Als Weltmeister dürfe Deutschland nicht den Fehler von 1990 wiederholen: »Damals haben uns Franzosen und Niederländer überholt, weil sie hungriger und neugieriger waren.«
Grindel wünscht sich nach Ausräumung der letzten Rechtsstreitereien nun eine rasche Umsetzung auf dem Gelände der Galopprennbahn: »Es wäre wunderbar, wenn wir bei der Abreise zur WM den ersten Spatenstich setzen können - und ich meine die Weltmeisterschaft in Russland - und nicht die in Katar.« Niemand aus den bald mit mehr als 13 Millionen Euro geförderten Landesverbänden müsse übrigens befürchten, dass wegen der Preisexplosion die Basisarbeit vernachlässigt werde.
Wie schwierig der Umgang mit den Amateuren bisweilen ist, hatte das zwischenzeitlich völlig festgefahrene Ringen um eine gerechtere Aufstiegsregel zur Dritten Liga offenbart. Erst in einer stundenlangen Sitzung in der Villa Kennedy konnte tags zuvor der gordische Knoten zerschlagen werden. Bis eine endgültige Lösung beim DFB-Bundestag 2019 beschlossen werden soll, gibt es ab der Saison 2018/2019 für zwei Spielzeiten vier Aufsteiger aus den fünf Regionalligen statt bisher nur drei, wobei künftig drei der fünf Meister direkt aufsteigen.
Nun liegt es an der 13-köpfigen Arbeitsgruppe um DFB-Vizepräsident Peter Frymuth, wie aus fünf irgendwann vier Regionalligen werden. Dabei sollen Vereine aus einem Bundesland und Landesverband nicht auseinandergerissen werden. Hinter den Kulissen zeigten viele Anwesende Unverständnis, warum plötzlich unter Zeitdruck eine Formel erfunden wurde, die in dieser Form noch nie zur Debatte stand.
Dem auf seine Eigenständigkeit pochenden Nordostdeutschen Fußballverband schrieb Grindel ins Stammbuch: »Diese Frage war nie und ist nicht geeignet, um einen Ost-West-Konflikt zu führen.« Prompt kam Gegenwind aus dem Westen. »Dieses ganze Getue ist einfach albern und grenzt für mich an Volksverarschung«, wetterte Hajo Sommers, Präsident von Rot-Weiß Oberhausen. Franz Wunderlich, Sportvorstand von Viktoria Köln schimpfte: »Das ist alles nur noch lächerlich und ein großer Witz.« Mit diesen Aussagen konfrontiert, gab sich auch Grindel auf einmal emotional: »Was wäre denn die Alternative gewesen? Dass uns vorgehalten wird, wir wären unbewegliche Betonköpfe ...«
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