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Jura-Professor will Sozialmietern helfen
Mit einer neu formulierten Rechtsverordnung könnten die Mieten Zehntausender Sozialwohnungen sinken
Martin Schwab will der Stadtentwicklungsverwaltung ein Geschenk machen. Der Bielefelder Juraprofessor erarbeitet derzeit eine rechtssichere Änderung der Verordnung zur Berechnung der Mieten im alten sozialen Wohnungsbau. Was zunächst dröge klingt, könnte die Mieter von 99 Wohnungen in sechs Häusern am Maybachufer und in der Manitiusstraße in Neukölln vor Verdrängung durch eine drastische Mieterhöhung bewahren. Bis zu 330 Euro mehr pro Wohnung will der Vermieter. Die Investitionsbank Berlin als Sozialwohnungsaufsicht bestreitet schon die Rechtmäßigkeit früherer Erhöhungen, doch es kann dauern, bis die Sache vor dem Verwaltungsgericht entschieden sein wird.
Der Vermieter beruft sich auf die gegenwärtigen Regeln zur Berechnung der sogenannten Kostenmieten im sozialen Wohnungsbau. Die sehen prinzipiell vor, dass auch Zinsen für längst abgezahlte Kredite einbezogen werden dürfen. Entschuldungsgewinne oder auch fiktive Kosten werden diese im Fachjargon genannt.
»Paragraf 28 des Wohnungsbindungsgesetzes erlaubt es dem Senat, die Berechnungsgrundlagen der Kostenmiete jederzeit und grundlegend auf das für Eigentümer tatsächlich auskömmliche Maß zu beschränken«, erklärt Ulf Glandien vom Netzwerk Mieterstadt.de. Tatsächlich könnten Zehntausende Bewohner und der Landeshaushalt von niedrigeren Sozialmieten profitieren. Seit Wochen fordern Mieteraktivisten diesen Schritt.
Unterstützung kommt von unerwarteter Seite. Auch Stefan Förster, Mietenexperte der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus spricht sich für eine reformierte Verordnung aus. »Es kann nicht im Interesse des Steuerzahlers sein, dass sehr hohe Zusagen an die Eigentümer der Sozialbauten ohne eine echte Leistungen aufrecht erhalten werden«, sagt Förster. »Das ist eine Lizenz zum Gelddrucken«.
»Der Erlass einer Verordnung kommt für die Mieter nicht rechtzeitig, da hierfür im besten Fall mehrere Wochen Vorbereitungszeit erforderlich wären«, teilte die Stadtentwicklungsverwaltung erst kürzlich auf nd-Anfrage mit. Im Falle der 99 Neuköllner Sozialwohnungen ist tatsächlich nur noch bis Jahresende Zeit, weil sie dann aus der Bindung fallen und die Regelungen des Sozialmietrechts nicht mehr anwendbar sind.
Doch Martin Schwab will liefern, »und zwar rechtzeitig noch vor der Senatssitzung am 19. Dezember«. Diese Sitzung wäre die letzte Gelegenheit, die Verordnung vor Jahreswechsel zu verabschieden. »Die Beseitigung der Entschuldungsgewinne aus der Berechnungsverordnung lässt sich mit minimalinvasiven Eingriffen erledigen«, begründet der Professor seine Zuversicht, schnell die Neuformulierung vorlegen zu können.
Der Jurist kennt sich aus in der Materie, schließlich war er Mitglied der »Expertengruppe zur Reform des sozialen Wohnungsbaus in Berlin«, die Ende 2015 vom Abgeordnetenhaus eingesetzt wurde. Martin Schwab war einer der drei Experten, die von der damaligen Opposition aus LINKEN, Grünen und Piraten in das zwölfköpfige Gremium entsandt wurden.
Tatsächlich hätten SPD, LINKE und Grüne schon längst ein umfassend reformiertes Gesetz zu den Sozialwohnungen verabschieden sollen. Im Koalitionsvertrag wurde eine Verständigung über die Neuregelung 100 Tage nach Regierungsantritt vereinbart. Nur ein kleines Vorschaltgesetz mit gewissen Erleichterungen für Sozialmieter konnte Anfang Juli verabschiedet werden.
Seitdem hat die Stadtentwicklungsverwaltung von Senatorin Katrin Lompscher (LINKE) mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt, die keine Gnade bei den Koalitionsfraktionen fanden. »Ich hatte den Eindruck, dass diese Entwürfe bloß als sozialmieterfreundlich getarnt waren, obwohl sie unkontrollierte Möglichkeiten für Vermieter bargen«, so Schwabs hartes Urteil. Ein »Hase-und-Igel-Spiel« sei es bei jedem neuen Entwurf gewesen, die neuen Fallstricke aus Mietersicht zu identifizieren.
Nachdem auf regulärem Weg keine Einigung möglich schien, wurde ein nun sechsköpfiges Expertengremium eingesetzt (»nd« berichtete), je zwei Fachleute pro Koalitionspartner. Bemerkenswert ist vor allem der von der SPD in den Rat entsandte Günter Fuderholz. Unbestritten ein kenntnisreicher Experte in Wohnungsmarktfragen, allerdings in den »SPD-Seilschaften sehr dicht verwoben«, wie die inzwischen verstorbene Grünen-Bauexpertin Barbara Oesterheld 2004 die »Lausitzer Rundschau« wissen ließ. Eine Einigung schien vielen Experten schon im Vorfeld ungewiss. Auch die vorletzte Sitzung am Freitag hat an der Einschätzung nichts geändert.
Angesichts der verfahrenen Lage ist man bei Mieterstadt.de schon einen Schritt weiter. »Eines komplizierten und riskanten Gesetzgebungsverfahrens, wie derzeit heftig diskutiert, bedarf es überhaupt nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn das Wohl der Mieterinnen und Mieter der Stadt im Mittelpunkt der Reform stehen soll«, sagt Ulf Glandien und plädiert stattdessen für die schnelle Reform der Berechnungsverordnung zu den Kostenmieten. »Schlimmste Missstände könnten ohne neue Subventionen umgehend vom Senat abgestellt werden, ohne bestehende Fördervorteile aufzugeben«, ist Glandien überzeugt.
»Frau Lompscher, erlassen Sie sofort eine Rechtsverordnung nach Paragraf 28 Wohnungsbindungsgesetz, um dem unerträglichen und maßlosen Missbrauch des sozialen Wohnungsbaus durch Spekulanten ein Ende zu machen«, heißt es sogar in einem Offenen Brief an die Stadtentwicklungssenatorin. Zu den Unterzeichnern gehören Bündnisse wie »Bizim Kiez« oder »GloReiche«.
Die vorgeschlagene Rechtsverordnung helfe leider nicht, ließ die Senatorin per Twitter wissen. »Kernelemente der Förderbestimmungen können nicht ohne gesetzliche Grundlage verändert werden«, twitterte Lompscher als Begründung auf Nachfrage.
»Es ist höchste Zeit für einen wirklich ernst gemeinten Kurswechsel bei allen Sozialwohnungen in Berlin«, sagt Glandien. »Der Umgang mit den Mieterinnen und Mietern am Maybachufer und in der Manitiusstraße ist hierfür der Lackmustest«, so der Aktivist.
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