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Annäherung an ein Internet-Phänomen
Ken Jebsen attackiert Linke - und gibt sich als Aufklärer und Friedenskämpfer. Porträt eines gefallenen Journalisten
«Große Teile der Linken» seien «längst umgedreht worden» und «Teil des Systems», gibt er zu Protokoll. «Das Volk ist ihnen eher unheimlich bis peinlich.» Das könne man daran erkennen, «dass Linke die Plattenbauten dieses Landes eher meiden, während die AfD exakt in diesen Vierteln permanente Präsenz zeigt». Das sagt Ken Jebsen, Betreiber des Berliner Online-Portals KenFM, nachzulesen im Interviewband «Der Fall Ken Jebsen» des Journalisten Mathias Bröckers (Der Fall Ken Jebsen oder Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann. Verlag fifty-fifty, Frankfurt am Main, 2016). Jebsen fragt darin rhetorisch, «wie viel NATO-Geld, wie viel Geheimdienst, wie viel Verfassungsschutz steckt da eigentlich drin in diesem ganzen Links-Milieu»?
Wer solche Statements produziert, verdiene Anerkennung - das finden offenbar die Macher des Online-Magazins «Neue Rheinische Zeitung» (NRhZ), benannt nach der von Karl Marx herausgegebenen «Rheinische Zeitung». Die NRhZ kündigte an, Jebsen heute in Berlin den «Kölner Karlspreis» zu verleihen - als Auszeichnung für dessen «aufklärerischen, unabhängigen, facettenreichen, urdemokratischen Journalismus».
Aufklärerisch? Urdemokratisch? Schauen wir uns KenFM genauer an. Am 22. März 2017 veröffentlichte das Portal auf YouTube ein Interview, das Ken Jebsen mit dem Autor Gerhard Wisnewski geführt hat. Dessen aktuelle Bücher erscheinen im Kopp-Verlag, der auch rechtspopulistische Kundschaft bedient. Wisnewski behauptet in diesem Gespräch, die «Flüchtlingskrise» sei bewusst gesteuert. Sie führe zu «Desorganisation» Deutschlands und Europas. Zur Erläuterung zieht er die Parallele zum Auto. Wenn jemand anfange, den «Motor zu desorganisieren», so Wisnewski, dann werde «der ganze Wagen nicht mehr fahren». Und wie werde «Desorganisation» erreicht? «Zum Beispiel mit massenhaft Migrantenkindern, die nicht in dieser Weise lernbereit sind.» Ausländerfeindliches Gedankengut in Reinkultur. Und Jebsen, der aufklärerische, urdemokratische Journalist? Er verzichtet auf Widerspruch, auf kritisches Nachfragen. Wisnewski fabuliert anschließend von höchst natürlichen Revierkämpfen, die zwischen Einheimischen und Zuwanderern ausbrechen. Offensichtlich sieht Ken Jebsen das ähnlich. Er sagt, dass «Gastfreundschaft» ihre Grenzen habe. «Wenn einer zu Besuch kommt im Dorf, dann geht das. Bei 20 ist man schon ...» - Jebsen unterbricht sich - «und bei 500 fühlt man sich überrannt.» Wisnewski reicht das nicht: «Bei 500 ist es Krieg.»
Am 20. September 2017, wenige Tage vor den Bundestagswahlen, veröffentlichte Jebsens Portal einen Gastbeitrag zu einem AfD-kritischen Videoclip. Im Video rufen die Darsteller aus der frechen Schüler-Kinokomödie «Fack ju Göhte» dazu auf, wählen zu gehen. «Setz ein Zeichen für ein buntes Deutschland» und «Wähl nicht die AfD», erklären Jella Haase, Elyas M’Barek und ihre Mitstreiter. Der Autor des Gastbeitrags schimpft, er sieht einen «Manipulationsversuch vom ›Fack ju Göhte‹-Team». Was seien das für Leute, schreibt er, «die nicht im geringsten Kritik gegenüber einer Regierung üben, die selbst in mehr Kriegen verstrickt ist als es Nazideutschland je war»? KenFM tut, als habe man mit derlei Auswürfen nichts zu tun: «Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln», steht auf der Webseite.
Schon in seiner Zeit als RBB-Moderator polarisierte der Schnellredner Jebsen. Er spielte mit Grenzüberschreitungen und eckte mit eigenwilligen Kommentaren an. Im Jahr 2011 stand er wegen einer Aussage in der Kritik, die manche als Holocaust-Leugnung empfanden. Zunächst beschäftigte ihn der RBB weiter. Später erfolgte doch die Trennung. Er habe journalistische Standards verletzt, so die Begründung.
Geschickt nutzt Jebsen heute Vokabular und Denkmuster der politischen Linken. «Ausbeutung und Kolonialismus werden heute Strukturanpassungsprogramme genannt», sagt er im Interview mit Mathias Bröckers. Jebsen verweist auf Che Guevara, lobt Jean Ziegler und zitiert Rosa Luxemburg. Er kritisiert die Griechenland-Politik von EU und IWF, plädiert für eine «gesunde Lebensweise», argumentiert gegen den Einsatz von Drohnen in Afghanistan. Auch Linke kommen zum Interview in seine Sendung, etwa die Schriftstellerin Daniela Dahn oder der Linken-MdB Wolfgang Gehrcke. Auch Ex-Familienministerin Rita Süssmuth (CDU), der CSU-Senior Peter Gauweiler oder die Schweizer Popsängerin Stefanie Heinzmann waren bei KenFM bereits zu Gast.
Das Portal hat Erfolg - 272 000 Menschen haben KenFM auf Facebook abonniert. Zum Vergleich: Der WDR kann lediglich 175 000 Abonnenten vorweisen. Lutz Hachmeister, ehemaliger Direktor des Grimme-Instituts, schätzt Jebsens Online-Portal so ein: «Inhaltlich wie ästhetisch absolut professionell gemacht.» Hachmeister leitet heute das Kölner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik und sagte im Interview mit dem Branchendienst Kress: KenFM unterscheide «sich so gut wie nicht von vergleichbaren Sendungen im linearen Fernsehen».
Laut eigener Aussage soll das Portal dazu dienen, «Feindbilder zu hinterfragen und aufzulösen». Zweifel sind angebracht. So veröffentlichte KenFM im Oktober 2017 einen Text, in dem Israel als «Symbol des Grauens» und «größtes Gefängnis in der Welt» bezeichnet wird. Der Text verweist auf einen angeblichen «Genozid in Gaza» und erklärt, das «zionistische Regime» genieße «weltweit Sonderrechte». Selbstverständlich ist Kritik an Israels Politik legitim. Doch dies sind Behauptungen, die Feindbilder nicht abbauen, sondern schaffen und verstärken.
Ken Jebsen erzählt in besagtem Interviewband von Bröckers, dass er 1966 in Krefeld geboren wurde. Der Vater lebe im Iran, die Mutter stamme aus Hamburg. Dass er in Wirklichkeit Moustafa Kashefi heiße, wie Wikipedia schreibt, sei falsch. Seinen wahren Namen möchte Jebsen aber nicht nennen. Überhaupt hält Jebsenvon Transparenz in eigener Sache offenbar wenig. KenFM werde ausschließlich crowdfinanziert, berichtet er. Doch wie hoch ist das Budget? Gibt es Großspender? Wer Geld gibt und wie viel, verrät Jebsen nicht. Auch das Interviewbuch von Mathias Bröckers schweigt dazu. Überhaupt verzichtet Bröckers im Buch darauf, Ken Jebsen mit hartnäckigen Fragen zu behelligen. «Ich wollte ihn ungeschnitten und authentisch zu Wort kommen lassen,» räumt Bröckers auf Anfrage ein. Sein Urteil fällt eindeutig aus: «Ich halte ihn für einen sehr guten und engagierten Journalisten.»
Jebsen bewegt sich in einer Community, zu der auch Mathias Bröckers gehört. Der ehemalige «taz»-Redakteur war Interviewgast bei KenFM. Er ist als Redner für die «Karlspreis»-Verleihung an Jebsen angekündigt. Bröckers und Jebsen schreiben für free21, ein als links auftretendes Online-Magazin. Dessen offensichtliches Spezialgebiet: Geheimes aufdecken. «Haben die USA etwas mit den dunklen Mächten in Deutschland wie der NPD zu tun?», lautet eine Überschrift. Hier veröffentlichte auch der im Januar dieses Jahres verstorbene AfD-nahe Autor Udo Ulfkotte, der von 1986 bis 2003 als politischer Redakteur für die FAZ arbeitete. Für free21 schreibt zudem Paul Schreyer, der für das linke Onlinemedium NachDenkSeiten eine freundliche Rezension des Jebsen-Gesprächsbandes von Bröckers verfasste. Außerdem war Schreyer Interviewgast bei Jebsen. «Nur weil ich bei KenFM auftrete, muss ich deswegen noch nicht alles unterschreiben, was auf dem Kanal sonst läuft», betont der Autor. Allerdings räumt Schreyer ein: «Weil unsere politischen Ansichten sich in vielen Punkten ähneln, finden wir auch vor der Kamera zusammen.»
Auch Julia Szarvasy, Reporterin beim Online-Medium NuoVisoTV, zählt zu den Jebsen-Bewunderern. «Du setzt Dich für Frieden ein, für politische Aufklärung», sagte Szarvasy jüngst in einem Interview zu Jebsen. NuoViso publiziert krude politische Thesen und Esoterik. Ein Beitrag geht der Frage nach, ob «Reichsbürger erfunden wurden, um politisch unbequeme Fragestellungen im Keim mit Angst zu ersticken?». Jebsen erklärt im Interview mit Szarvasy, dass er und NuoViso für dieselbe Sache eintreten: «Als Verleger, NuoViso geht’s ja genauso, stehe ich für Menschen, die ohne Lizenz von oben Massen erreichen. Und sagen, man kann die Dinge auch anders sehen.»
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