Einkommensungleichheit weltweit laut Studie gewachsen

Wirtschaftswissenschaftler um Thomas Piketty: Der Anteil der unteren 50 Prozent am Gesamteinkommen ist in letzten Jahrzehnten »massiv« gesunken

  • Lesedauer: 3 Min.

Paris. Privatisierungen im großen Stil haben die Ungleichheit zwischen Topverdienern und Einkommensschwachen einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren fast überall auf der Welt verschärft. Seit 1980 haben die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung ihre Einkünfte mehr als verdoppelt, wie aus einer Untersuchung von Forschern um den bekannten französischen Ökonom Thomas Piketty hervorgeht. Die Mittelklasse habe dagegen kaum profitiert, auch wenn gestiegene Einkommen statistisch allen Menschen zu Gute gekommen seien. Regional gibt es allerdings Unterschiede.

Am geringsten ist das Gefälle demnach in Europa. Dort verfügten 2016 die oberen zehn Prozent über 37 Prozent des nationalen Einkommens, in Nordamerika waren es 47 Prozent, im Nahen Osten den Angaben zufolge sogar 61 Prozent. »Seit 1980 ist die Einkommensungleichheit in Nordamerika, China, Indien und Russland rasant gestiegen. In Europa verlief der Anstieg moderat«, heißt es in der Studie. Ausgewertet wurden unter anderem Einkommensteuerdaten.

In Deutschland haben die Top 10 Prozent den Angaben zufolge rund 40 Prozent am Gesamteinkommen. »Ihr Anteil ist seit Mitte der 90er Jahren gestiegen«, sagte Charlotte Bartels vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die die deutschen Daten auswertete.

»Die unteren 50 Prozent haben in den letzten Jahren massiv an Anteil am Gesamteinkommen verloren. In den 60er Jahren verfügten sie noch über etwa ein Drittel, heute sind es noch 17 Prozent«, erläuterte die Wissenschaftlerin. »Einschließlich Sozialtransfers, die mit den Bruttoeinkommen nicht erfasst werden, sehen die Zahlen für die unteren Einkommen vermutlich aber besser aus.«

Die Mittelschicht ist nach ihren Angaben relativ stabil mit etwa 40 Prozent am Gesamteinkommen. »Insgesamt ist die Einkommensungleichheit in Deutschland heute nicht radikal höher oder radikal niedriger als vor 100 Jahren. Allerdings ist sie seit der Jahrtausendwende gestiegen.«

In Deutschland profitieren die Reichsten 0,1 Prozent Bartels zufolge vor allem vom Unternehmensbesitz. »Über 80 Prozent der deutschen Wirtschaft dürften sich in Familienhand befinden.«

Hauptursache der ökonomische Ungleichgewichte ist den Autoren zufolge die ungleiche Verteilung von Kapital in privater und in öffentlicher Hand. Seit 1980 seien in fast allen Ländern riesige Mengen öffentlichen Vermögens privatisiert worden. »Dadurch verringert sich der Spielraum der Regierungen, der Ungleichheit entgegenzuwirken«, argumentieren die Wissenschaftler. In den USA und Großbritannien war das öffentliche Nettovermögen - Vermögenswerte abzüglich Schulden - den Angaben zufolge zuletzt negativ. In Japan, Deutschland und Frankreich nur noch leicht positiv.

Das internationale Forscherteam um Piketty, Autor des kapitalismuskritischen Bestsellers »Das Kapital im 21. Jahrhundert«, empfiehlt zur Bekämpfung der Ungleichheit unter anderem die Einführung eines globalen Finanzregisters, um Geldwäsche und Steuerflucht zu erschweren. Kindern aus ärmeren Familien müsse der Zugang zu Bildung erleichtert werden. Weitere Instrumente seien progressive Steuersätze, die mit dem Einkommen steigen, sowie eine Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung und angemessene Mindestlöhne.

DIW-Chef Marcel Fratzscher hatte jüngst eine »Investitionsoffensive in Bildung, Qualifizierung, Teilhabe und Innovation« für Deutschland gefordert. Die Löhne nach Inflation sowie die Einkommen der unteren 40 Prozent seien heute niedriger als vor 20 Jahren, hatte der Ökonom kritisiert.

Nach früheren Angaben von Ifo-Präsident Clemens Fuest hat sich der Anteil der 10 Prozent der am besten Verdienenden und der 40 Prozent mit dem geringsten Einkommen am Gesamteinkommen der Bevölkerung seit 2005 nicht groß verändert. »Deutschland ist durch die Mittelschicht geprägt.« dpa/nd

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.