Verschwörungen

Uwe Kalbe über die Debatte um Ken Jebsen in der Linkspartei

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Parteivorstand musste handeln, sagt Katja Kipping. Wenn ein Mitglied der Partei angegriffen werde, müsse die Partei solidarisch Stellung beziehen. Deshalb hatte der Vorstand unlängst seine Solidarität mit Klaus Lederer erklärt, der wegen der Kritik an einer Preisverleihung für den Journalisten Ken Jebsen, den er unter die Kategorie »Aluhüte« einsortiert, in die Kritik geraten war. Klaus Lederer hatte auf zweifelhafte Weise seine Macht als Berliner Kultursenator genutzt, um die Preisverleihung an Jebsen zu verhindern – zumindest an dem vorgesehenen Ort. Ein Gericht erklärte die daraufhin erfolgte Kündigung der
Preisverleihung für unwirksam
, der Eingriff Lederers, den manche auch »Zensur« nannten, hat damit indirekt einen auch richterlichen Makel erhalten. Denn natürlich war er erfolgt, um die Veranstaltung (rechtswidrig) zu verhindern. Die Vorstandssolidarität gilt trotzdem weiter, wie man aus der Debatte seither ersehen kann.

Solidarität übt der Vorstand aber nicht in jedem Fall. Wer sich auf die Seite der Kritiker gestellt hat, erfährt diese Solidarität nicht. Diether Dehm, Christiane Reymann und Wolfgang Gehrcke sind in einen Shitstorm geraten. Gleichzeitig haben sich viele einfache Mitglieder der Partei auf ihre Seite gestellt. Dem Bundestagsabgeordneten Dehm und seinen Genossen wird unterstellt, Antisemiten und Befürworter einer Querfront zu sein, der sich die LINKE entgegenstellen müsse.

Der »Aluhut« ist hier gern genutztes Schimpfwort, ein Synonym für Verschwörungstheoretiker. Aluhüte sind nun der erklärte Gegner, sie werden in einem Atemzug genannt mit Antisemiten. In einem Beitrag der Frankfurter Rundschau wird Diether Dehm unverblümt des Antisemitismus bezichtigt. »Sollten Juden eines Tages wieder gezwungen werden, mit einem gelben Stern durch die Straßen zu laufen, könnte Dehm darin keinen Antisemitismus erkennen, selbst Konzentrationslager erregten in ihm keinen einschlägigen Verdacht.« Mit diesem unglaublichen und vor allem: unbegründeten Anwurf überschreitet der Autor in seinem scheinbar ach so moralischen Gestus geltende Grenzen der Moralität und wahrscheinlich auch des Rechts. Er bringt allerdings die Haltung eines großen Teils der Gesellschaft, und vor allem: auch jener Teile in Diether Dehms Partei zum Ausdruck, die seit Jahren nicht mehr im Antiimperialismus, sondern im Kampf gegen Rechts den Markenkern der Linken erkennen wollen. Das klingt gut, macht aber die Erscheinung zum Wesen. Was ist Rechts? An oberer Stelle findet sich: der Aluhut.

Aluhüte und Antisemiten, Putinversteher und Amerikahasser – in der Summe der Vorwürfe fügt sich das Weltbild ihrer Gegner. Nicht mehr die Herrschaftsstrukturen des Kapitalismus stehen im Fokus, die zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit, zu Egoismus als genetischem Grundcode der Gesellschaft und zu Krieg als seinem zerstörerischsten Ausdruck führen. Verschwörungstheoretiker werden zum Gegner einer vermeintlich aufgeklärten Linken erklärt, und gemeint ist jede Kritik an den realen Machtstrukturen, die aus erkennbaren Widersprüchen einen vermeintlich zu weit gehenden Verdacht ableitet. Der Verdacht wird selbst für verdächtig erklärt, wenn er nur Indizien statt Beweise liefert. Doch wieso bringen Linke eine solche Energieleistung auf, allein, um den Verdacht als ungeheuerlich zu bekämpfen, der Kapitalismus könnte ungeheuerliche Verbrechen hervorbringen? Obwohl das eine Binsenweisheit ist! Ist die Verteidigung der Macht vor womöglich absurden Fantasien nicht eine allzu bescheidene Denkempfehlung für Linke? In der Konsequenz ist es die Kritik selbst, die verhindert wird. Jener Generalverdacht gegenüber dem Kapitalismus galt früher als Ausweis der Linken. Jetzt ist er ein Ausschlussgrund, zumindest einer, der einen ins Abseits geraten lässt.

Das Linke versteckt sich inzwischen hinter Moralität, die das Gute beredt im Munde führt, zuallererst die Schuld am Massenmord an sechs Millionen Juden. Doch solche Moralität ist nicht das Kriterium linken Denkens. Es ist nicht spezifisch links, gegen Mord zu sein, auch nicht gegen automatisierten Massenmord. Spezifisch links ist es, nach den gesellschaftlichen, den sozialen Ursachen solchen Mordens zu suchen. Rechte sollten sich nach moralischen Grundsätzen richten wie Linke auch. Und sie tun es meist sogar. Ihnen fehlt allerdings die Bereitschaft, in den gesellschaftlichen Strukturen die Ursachen für Faschismus zu suchen.

Er war die Ursache für den Massenmord – an Juden, Sinti und Roma und an anderen angeblichen Untermenschen, auch solchen, die das Pech hatten, Bürger von Ländern zu sein, die auf Hitlers Abschlussliste standen. Jedes Menschenleben ist gleichviel wert. Das Unglück eines gewaltsamen Todes wird nicht gesühnt, indem man Opfer instrumentalisiert, und sei es für einen vermeintlich guten Zweck, sondern indem man die Mörder bestraft und nach den Bedingungen fragt, die sie hervorgebracht haben. Um Mord künftig zu verhindern – egal an wem und in wessen Namen.

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