• Berlin
  • Stadtentwicklung in Berlin

Maybachufer: Sozialmieter hoffen auf Weihnachtsgeschenk

Initiativen übergeben Verordnungsentwurf an Stadtentwicklungsverwaltung / Beschluss durch Senat wäre kommende Woche nötig

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Bereits diesen Freitag soll Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) ein Weihnachtsgeschenk erhalten. Ihr soll das Mittel in die Hand gegeben werden, um die Mieten vieler der noch rund 100 000 Sozialwohnungen in der Stadt kurzfristig deutlich senken zu können. Es nennt sich »Erste Verordnung zur Korrektur der Berechnung von Kostenmieten von Sozialwohnungen im Berliner Sozialwohnungsbau«. Formuliert wurde diese Verordnung vom Bielefelder Jura-Professor Martin Schwab auf Bitte der Initiative Mieterstadt.de (»nd« berichtete).

Akuter Anlass sind drastische Mieterhöhungen für die Bewohner der Neuköllner Sozialwohnungsbauten Manitiusstraße 17-19 und Maybachufer 40-42. Die 99 Mietparteien sollen bis zu 330 Euro mehr Miete an die Maybachufer GmbH & Co. KG zahlen. Der Vermieter rechnet dabei Zinsen für längst abbezahlte Kredite in die Mieterhöhung ein.

Über die Rechtmäßigkeit bereits früherer Mieterhöhungen liegt die landeseigene Investitionsbank Berlin als Aufsichtsbehörde bereits seit längerem im Clinch mit dem Hauseigentümer. Der Fall liegt vor dem Verwaltungsgericht, wann es zu einer Entscheidung kommt, ist nicht abzusehen. Letztlich müsste jede Mietpartei einzeln vor Gericht ziehen, um gegen ihre persönliche Miethöhe vorzugehen. Allerdings verweigerte der Eigentümer auch noch die Akteneinsicht, was ebenfalls nicht rechtens ist.

Der Neuköllner Sozialstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) hatte bereits angekündigt, das Jobcenter und Sozialamt die überhöhten Mieten von Leistungsbeziehern vorerst bezahlen. Die Stadtentwicklungsverwaltung wollte als »freiwillige Leistung« die Mietdifferenz für Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen bis zu einer verwaltungsgerichtlichen Klärung übernehmen, allerdings gab es wegen »weiteren Klärungsbedarfes« noch keinen Senatsbeschluss - letzte Chance für einen rechtzeitigen Beschluss vor Jahreswechsel wäre die Sitzung am kommenden Dienstag. Denn die Sozialbindung der betroffenen Häuser endet zu Silvester. Sollten die nun verlangten 9,82 Euro pro Quadratmeter vor Gericht Bestand haben, blieben sie, obwohl weit über dem Mietspiegel gelegen, die legale Startmiete im regulären Wohnungsmarkt.

Eine geänderte Kostenberechnungsverordnung könnte das Problem der sogenannten Entschuldungsgewinne für Eigentümer - die Berechnung längst abgezahlter Zinsen - grundsätzlich lösen. In vielen Fällen würden die Quadratmetermieten deutlich sinken, bei den Neuköllner Häusern um ein Drittel. »Das wäre eine Entlastung für Zehntausende Geringverdiener. Auch das Land könnte Millionenbeträge pro Jahr sparen« , sagt Sebastian Jung von Mieterstadt.de auf nd-Anfrage. Die Verordnung sei das Instrument der Wahl. »Sollte tatsächlich jemand klagen und vor Gericht auch noch gewinnen ist, dann nicht das ganze Gesetz mit unabsehbaren Folgen in Gefahr«, das nennt Jung einen »Riesenvorteil« einer solchen Lösungen. Zumal sich die Verhandlungen von SPD, LINKEN und Grünen über die geplante umfassende Reform der gesetzlichen Regelungen zu Sozialwohnungen außerordentlich schwierig gestalten. Eine Verordnung kann der Senat in Kraft setzen, ohne das Abgeordnetenhaus einzubeziehen.

Mögliche verfassungsrechtliche Schwierigkeiten einer Neuregelung, über die im Vorfeld geraunt wurde, sieht der Jurist Schwab nicht. Die Sozialbindung des Eigentums greife bei Sozialwohnungen noch stärker als im und eine verbotene Rückwirkung sei in seinem Entwurf nicht vorgesehen, erklärt Schwab auf nd-Anfrage.

»Wir freuen uns, dass die Stadtentwicklungsverwaltung Interesse für den Verordnungsentwurf signalisiert hat«, sagt Denny Chakkalakal vom Bündnis »Mani & May« der Neuköllner Sozialmieter. »Für uns wäre es der Präzedenzfall, frühere Fehler der Investitionsbank Berlin zu korrigieren und Mieter zu schützen.«

Eher skeptisch reagierte Michail Nelken, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, auf das Ansinnen, mit einer neuen Verordnung die Kostenmieten zu senken. »Bislang haben alle Heilungsversprechen der Prüfung nicht Stand gehalten«, twitterte er am Montag. Dennoch sei »jede begründete Idee zu prüfen«.

»Dieses Engagement aus der Zivilgesellschaft und eines anerkannten Experten muss aufgegriffen werden«, fordert dagegen Katrin Schmidberger, Wohnungsmarkt-Expertin der Grünen im Abgeordnetenhaus. »Manchmal braucht es einen Anstoß von außen, um gute Lösungen schnell auf den Weg zu bringen«, sagt die Politikerin.

Mehrere Mieterinitiativen haben sich zur Übergabe des Verordnungsentwurfs diesen Freitag angemeldet. »Der Senat könnte sie am 24. Dezember in Kraft treten lassen. Das wäre ein wirkliches Weihnachtsgeschenk«, sagt Sebastian Jung.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -