- Politik
- Regierungsbildung in Österreich
Rechte Regierung startbereit
In Österreich steht das Kabinett aus ÖVP und FPÖ vor der Vereidigung
Kurz und schmerzlos verliefen die Gespräche zwischen den beiden rechten Wahlsiegern: der ÖVP und der FPÖ. Sie konnten sich in nur wenigen Wochen auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen. Schmerzvoll wird es erst, wenn die beiden Parteien ihr Programm in der kommenden Legislaturperiode umsetzen: vor allem für Arbeiter und Angestellte, die nach den Flexibilisierungsvorstellungen der Rechten künftig bis zu zwölf Stunden täglich ihrem Betrieb zur Verfügung stehen »dürfen«. Zeitausgleich statt Überstunden, lautet die Devise, wobei der Zeitrahmen, innerhalb dessen ein möglicher Zwölfstunden-Tag mit der Normalarbeitszeit gegenverrechnet werden muss, bis zu einem Jahr betragen könnte.
Bildungspolitisch ist den beiden Chefverhandlern Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) nur eingefallen, für die Kleinsten wieder Schulnoten einzuführen - sie waren bislang verbal benotet worden - und Ende Oktober das Schuljahr für eine Ferienwoche zu unterbrechen. Die hochtrabenden sozialdemokratischen Pläne einer flächendeckenden Gesamtschule für die ersten zehn Schuljahre werden in Bananenschachteln archiviert. Die Studierenden werden ab kommendes Jahr mit Gebühren zur Kasse gebeten.
Den lautesten Aufschrei der Opposition, die nun aus der SPÖ, einer kleinen ex-grünen Liste und den ultraliberalen Neos besteht, hörte man bezeichnenderweise an einer absoluten Nebenfront, dem Rauchverbot. Im Jahr 2015 wurde nämlich mit den Stimmen der ÖVP ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie beschlossen, das im Mai 2018 in Kraft treten sollte. Bis dahin ist es in Lokalen erlaubt, Nichtraucher von Rauchern getrennt zu bedienen; kleine Wirtshäuser dürfen sich als Raucherlokale deklarieren, wenn in ihnen nicht vornehmlich gegessen wird. Das soll nun so bleiben, womit das vorgesehene totale Rauchverbot fällt. Die FPÖ kämpfte für diese Lösung. Sozialdemokraten und Ärzteschaft sind empört, das Wort von der Volksgesundheit macht zwar nicht die Runde, steht aber hinter den entsprechenden Wortmeldungen. Die Gegnerschaft zur FPÖ scheint ausgerechnet in einem Punkt zu kulminieren, in dem die Rechten ein Verbot gekippt haben; eine Ironie der Geschichte.
Die personelle Aufteilung der Ministerien ist zu Redaktionsschluss des »nd« noch nicht gänzlich abgeschlossen. Neben Kanzler Kurz von der ÖVP wird die FPÖ den Innenminister und den Verteidigungsminister stellen. Das Infrastrukturministerium dürfte an Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer (FPÖ) gehen und neue Außenministerin wird Karin Kneissl. Die parteilose Nahost-Expertin wurde interessanterweise von FP-Chef Strache nominiert, obwohl sie in vielen Fragen nicht auf Linie der Rechten ist. Kneissl verließ vor zwei Jahrzehnten den diplomatischen Dienst im Streit mit ihrem damaligen Chef Alois Mock und machte sich seither in außenpolitischen Fragen als Privatgelehrte einen Namen. Dabei tauchte sie sowohl in linken wie in rechten Kreisen auf, ihre Expertise in Nahost-Fragen ist weitgehend unbestritten. Sie spricht Arabisch und Hebräisch.
Unsichtbar mit am Tisch der Koalitionsverhandlungen saß die Europäische Union, und zwar in Person des EU-apologetischen Präsidenten und Ex-Grünen Alexander van der Bellen. Ihm steht es zu, einzelne Ministervorschläge abzulehnen, was er bereits im Vorfeld ungefragt gemacht hatte. Auffällig war seine Ablehnung eines prominenten FPÖ-Kaders, der gute Beziehungen zu Russland unterhält. Strache folgte der indirekten Direktive aus Brüssel, wird auch selbst außer dem Vizekanzler kein wichtiges Ministerium leiten und willigte sogar darin ein, dass die EU-Agenden künftig nicht wie bisher im Außenministerium, sondern direkt bei Kurz im Kanzleramt gebündelt werden. Die Beziehung zwischen dem jungen rechten Shooting-Star der ÖVP und dem alten Wirtschaftsprofessor im Präsidentenamt scheint harmonisch, Kurz streichelt bereits medienwirksam den Hund van der Bellens, der dazu väterlich lächelt.
Am Wochenende werden die Parteigremien von ÖVP und FPÖ die Verhandlungsergebnisse abnicken. Für den 18. Dezember ist die Vereidigung der Regierung geplant.
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