Kiel entscheidet gegen Zwang bei Straßenausbaugebühren

Schleswig-Holsteiner Landtag lässt Kommunen freie Hand / Landwirt soll 189 000 Euro für angrenzenden Straßenausbau zahlen

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit dem gesetzlichen Zwang, dass Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein bei Straßenausbaumaßnahmen Anlieger zur Mitfinanzierung der Projekte heranziehen, ist es nun vorbei. Der Landtag in Kiel hat diese Verpflichtung am Donnerstagabend aufgehoben und es den Kommunen freigestellt, ob sie Straßenausbaubeiträge von Anwohnern einfordern oder nicht.

Ein Fall aus Lütjenburg hatte zuletzt Landwirt Ulrich Albert über Nacht bundesweite Schlagzeilen beschert. Diesem liegt von der Verwaltung für den 2011 erfolgten Straßenausbau entlang seines 950 Meter angrenzenden Grundstückes ein Kostenbescheid von rekordverdächtigen 189 000 Euro vor. Er befindet sich dazu immer noch im Rechtsstreit. Aber auch Beispiele für eine Eigentümer-Heranziehung mit vier- und fünfstelligen Summen hat es landesweit zuhauf gegeben. Für neue Gehsteige oder eine Komplettsanierung der Straße hatte eine Kommune Bürger bisher mit mindestens 15 Prozent der Kosten zu beteiligen. Mancherorts ist der Anteil aber auch weitaus höher ausgefallen, weil es vor Ort ganz unterschiedliche Straßenausbaubeitragssatzungen gibt.

Spontan wurden ausgehend von Betroffenen aus Neumünster landesweit über 20 000 Unterschriften zusammengetragen, die sich gegen eine verpflichtende Anwohnerbeteiligung aussprachen. Daraufhin kam zu einer Anhörung im Petitionsausschuss des Landtages. Auf die Proteste reagierte das Land mit einer Abänderung des Kommunalabgabengesetzes und der Möglichkeit großzügigerer Ratenzahlungen. Die Stundung der Beiträge wurde erweitert, die Zinsen für die Stundung wurden herabgesetzt.

Die Jamaika-Koalition mit Zustimmung von AfD und dem Südschleswigschen Wählerverband stellt es den Kommunen nun frei, wie sie mit den Straßenausbaubeiträgen umgehen. Die SPD sagt voraus, dass es fortan mit der neu errungenen Freiheit eine ungleiche Behandlung der Bürger und damit Unfrieden geben werde. Verzichten wohlhabende Kommunen - etwa ein Drittel im Land sind schuldenfrei - auf eine Anwohnermitwirkung, können verschuldete Städte und Gemeinden sich solch einen Schritt schlichtweg nicht leisten, wollen sie alternativ nicht beispielsweise die Grund- und Gewerbesteuer anheben. Nachgedacht wird in manch einem Rathaus oder manch einer Amtsstube aber auch über ein kollektives Umlagemodell, das wiederkehrende kleine Beiträge in Abgabeform als Mitwirkung vorsieht. Da in knapp fünf Monaten Kommunalwahlen im nördlichsten Bundesland anstehen, ist ein Wahlkampfthema somit schon einmal gesetzt.

Eines haben CDU, Grüne und FDP in der Landtagsdebatte den Kommunen deutlich mit auf den Weg gegeben: Das Land ist den Kommunen gegenüber in dieser Frage zu keinerlei Kostenübernahme (Konnexitätsprinzip) verpflichtet. Im Zuge der für 2020/21 anvisierten Reform des Gesetzes zum Kommunalen Finanzausgleich machte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) den Kommunen zumindest Hoffnung auf zusätzliche Mittel. Sein Versprechen: »Sie können sich darauf verlassen, dass diese Landesregierung sie fair und gerecht behandelt.« Die sehr skeptischen Sozialdemokraten enthielten sich schließlich bei der Abstimmung, wiesen aber darauf hin, dass man noch weit entfernt von der Abschaffung von Straßenbaubeiträgen entfernt sei. Vielmehr finde nur eine Verlagerung der Entscheidungsebene statt - »eine Mogelpackung«. Probleme sehen beispielsweise die Bürgermeister von Tornesch, Roland Krügel (CDU), und Elmshorn, Volker Hatje (parteilos), auf etliche Kommunen zukommen bei der Frage, wie sie einen künftigen Abgabeverzicht denjenigen erklären sollen, die etwa noch in diesem Jahr zur Kasse gebeten wurden. Niels Schmidt, parteiloser Bürgermeister von Wedel, gibt zu bedenken, dass es einer doppelten Belastung gleichkommen würde, wenn Straßenausbaubeitragszahler vergangener Jahre in Zukunft womöglich dann auch mit einer erhöhten Grundsteuer bedacht werden, nur weil einer haushaltspolitischen Kompensation einer wegfallenden Anliegerbeteiligung Rechnung getragen werden soll.

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