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Sexualisierte Folter ist eine geplante Gewaltausübung

Italia Méndez und Norma Jiménez über ihre Klage gegen Mexiko vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof

  • Kathrin Zeiske
  • Lesedauer: 3 Min.

In San Salvador Atenco hatte sich die Bevölkerung erfolgreich gegen den Bau eines Großflughafens organisiert. Als Anfang Mai 2006 Straßenhändler vertrieben wurden, ging die Bundespolizei gegen Protestierende vor. Wer war dafür verantwortlich, Frau Méndez?

Italia Méndez: Niemand Geringeres als der heutige Präsident Enrique Peña Nieto. Als Gouverneur des Bundesstaates México ordnete er die Zerschlagung der Proteste an. Er statuierte ein Exempel gegen die Zivilgesellschaft, denn 2006 brodelte es im ganzen Land. Die Andere Kampagne der Zapatisten zog durch Mexiko, und in Oaxaca und anderswo protestierten die Menschen gegen Armut, Ausschluss und Ungerechtigkeit. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was passieren würde, als ich gemeinsam mit 207 anderen Demonstrierenden festgenommen wurde. In den Bussen, die uns ins Gefängnis brachten, wurde sexualisierte Folter gegen mich und andere Frauen angewandt. Es waren keine spontanen Akte, sondern ein geplantes und angeordnetes Vorgehen.

Italia Méndez und Norma Jiménez

Im mexikanischen San Salvador Atenco wurde im Jahr 2006 ein brutaler Polizeieinsatz durchgeführt. Gegen Demonstrantinnen wurde systematisch sexuelle Folter angewandt. Italia Méndez (l.) und Norma Jiménez haben den Fall gemeinsam mit neun weiteren Frauen nun bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht. Mit ihnen sprach für »nd« Kathrin Zeiske.

Frau Jiménez, Sie bezeichnen sexualisierte Folter sowohl als Tabuthema wie als alltägliche Praxis in Mexiko ...

Norma Jiménez: Sexualisierte Folter ist ein Instrument der sozialen Kontrolle. Eine extreme Situation der Passivität, die vor allem Frauen durchleben. Sie geht einher mit entwürdigender verbaler Gewalt. In den vergangenen Jahren haben wir uns mit Aktivistinnen und Überlebenden ausgetauscht. Dabei ist auffällig, dass im sogenannten »Drogenkrieg« vor allem einfache Frauen festgenommen werden, die als Sündenböcke einer brutalen Sicherheitspolitik dienen. Die Überlebenden versuchen zu vergessen. Sie schweigen vor Scham. Doch die Haut hat Erinnerungen. Manche Dinge verschwinden aus dem Kopf, aber bei einer kleinen Berührung ist die ganze Situation wieder da. Wir dürfen nicht vergessen, dass sexualisierte Folter eine geplante Gewaltausübung ist, die im Einklang mit Verschwindenlassen und anderen Praktiken zu einer Paralysierung der Zivilgesellschaft führt. Währenddessen werden Land, Ressourcen und Wasser für den Weltmarkt ausgebeutet.

Was hat Ihnen geholfen, Repression und Traumata zum Trotz, den Kampf für Gerechtigkeit weiterzuführen?

Méndez: Es war sehr wichtig, dass wir immer Begleitung hatten, Menschen, die uns Beistand leisteten, medizinisch, psychologisch, juristisch. Es ist eine furchtbare Vorstellung, dass viele Frauen damit ganz alleine sind. Die sogar im Gefängnis sitzen, weil sie mit einer unter Folter erzwungenen Aussage zu Schuldigen gemacht wurden. Wir haben 2015 eine Kampagne gestartet, um darauf aufmerksam zu machen. Solidarität ist unsere Waffe, die Diffamierung zu durchbrechen.

Fast zehn Jahre sind seit der Polizeigewalt in Atenco vergangen. Gerade haben Sie den Fall dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof vorgetragen. Warum konnten Sie in Mexiko keine Gerechtigkeit erlangen?

Méndez: Nach der Hölle der Folter versuchten die Behörden, uns in Stücke zu zerlegen. Wir wurden als Lügnerinnen bezeichnet; uns wurde vorgeworfen, wir würden einem Handbuch folgen, wie wir glaubhaft machen können, vergewaltigt worden zu sein. Sie wollten uns zerstört sehen, aber das ist ihnen nicht gelungen. Wir haben immer wieder uns selbst klargemacht: Der Staat will, dass wir schweigen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir nicht schweigen.

Was erhoffen Sie sich von dem Prozess gegen Mexiko vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof?

Jiménez: Für uns ist es nicht ausschlaggebend, die Namen der Täter in Uniform zu ermitteln. Wir wollen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung vom Staat. Denn es war der Staat, der uns das angetan hat. Wir, die wir seine Aggression überlebt haben, haben es uns zur Aufgabe gemacht, auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Dafür geben wir unseren Namen und unser Gesicht.

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