Glaube oder Aberglaube
Alexander Pechmann: Ein Kriminalfall aus dem 19.Jahrhundert wird zu einem heutigen Roman
Vielleicht der schönste Buchumschlag des bald schon vergangenen Jahres: Sieben leuchtend gelbe Lichter über dunklem Meer, und ein schwarzes Segelschiff spiegelt sich im Wasser. Auf schimmerndes Leinen ist dieses Bild gedruckt; streicheln möchte man das Buch, bevor man es aufschlägt. Dann freilich fesselt der Text die Aufmerksamkeit - so spannend, spannend, man möchte den Band nicht beiseitelegen. Den Druck nimmt man für selbstverständlich. Dabei hat die elegante Schrift einen Namen: «Collis». Und das Papier heißt «Munken Print Premium Cream». Der Steidl Verlag mit dem Buchgestalter Victor Balko hat Autor und Lesern einen Liebesdienst erwiesen. Eine Hommage an das gedruckte Buch, an seine Werthaltigkeit, während so vieles um uns herum verwahrlost und verwildert.
Verwahrlost und verwildert - das gab es indes schon immer. Was da 1828 auf einem Schiff namens «Mary Russell» geschah, ist für gesunden Menschenverstand unerklärlich. Der Kapitän muss Amok gelaufen sein, dessen wird er zumindest verdächtigt. Sieben Besatzungsmitglieder hat er getötet (das Wort brutal passt hier, wiewohl es von häufigem Gebrauch schon ziemlich abgegriffen ist). Nur drei Schiffsjungen und der elfjährige kranke Sohn des Reeders haben das Massaker unbeschadet überlebt. Zwei Matrosen sind an ihren schweren Verletzungen immerhin nicht gestorben. Der Kapitän ist flüchtig und wird erst später aufgegriffen. Die Aussagen sind so widersprüchlich und von Verwirrung gezeichnet, dass dieser authentische Fall bis heute die Gemüter erregt.
Alexander Pechmann, geboren 1968 in Wien, ist eigentlich Literaturwissenschaftler. Als solcher hat er zum Beispiel Biographien über Herman Melville und May Shelley geschrieben, deren Werke er auch übersetzte, ebenso wie solche von Mark Twain, Henry James, Jack London und Robert Louis Stevenson.
Das alles mag auch seinen ersten Roman beeinflusst haben; der Verlag fügt noch die Namen Rudyard Kipling und Arthur Conan Doyle als Vorbilder hinzu. Beim Lesen fühlt man sich tatsächlich an klassische Detektivgeschichten und Abenteuerromane erinnert. Wie Holmes und Watson versuchen Reverend Scoresby und Colonel Fitzgerald, in der irischen Hafenstadt Cove das rätselhafte Verbrechen aufzuklären. Wobei letzterer als Ich-Erzähler gleichzeitig voll Bewunderung und Neugier seinen berühmten Schwager beobachtet. Der war lange selbst als Kapitän zur See gefahren und hatte dann Theologie studiert. Gewöhnlich predigte er auf einem Schiff in Liverpool, das man zur Kirche umgebaut hatte. In der «weiß schimmernden Leere des Eismeers schien er Gott gefunden zu haben».
Der Colonel ist dagegen ein Skeptiker. Er würde auch die Besessenheit nicht teilen, mit der Scoresby - während seiner Flitterwochen - diesem Mordfall nachjagt. Warum er es tut? Weil er nicht an Zufälle glaubt. Stattdessen meinte er, «die Welt bestünde aus Zeichen, die man entziffern müsse». Da traf er sich in gewisser Weise mit jenem mordenden Kapitän, der von sich sagte, Gott habe ihm ein Zeichen gesandt …
Unwillkürlich denkt man beim Lesen an heutige Attentäter, die ja oft auch aus einem Glauben heraus handeln. Wobei gerade von Scoresby kluge Worte über den Zweifel kommen, ohne den ein Glaube nur ein Aberglaube sei. Und Aberglaube kann teuflisch sein, wenn vermeintliche Gewissheiten zur fixen Idee werden, die Welt oder auch nur sich selbst von etwas Bösem zu befreien. Wie aber kann Glaube sich halten, wenn es rundherum so viel Schreckliches gibt? Wie hilft man sich, um nicht zu verzagen?
«Ich glaube, dass jeder im Grunde seines Herzens weiß, was richtig und was falsch ist», so Scoresby, und dass jeder, der gegen dieses Wissen und Gewissen handelt, sich früher oder später selbst bestraft.« Und die göttliche Gerechtigkeit? »Der Gott, der jeden unserer Schritte misstrauisch beäugt und jeden Fehltritt ahndet, ist eine Figur des Aberglaubens«, antwortet der Kirchenmann. - Für solche Ansichten wurde manch einer schon exkommuniziert.
Wenn es aber ein Prinzip ist, das in jedem Menschen wirkt, bliebe doch immer noch der Glaube vom Aberglauben zu unterscheiden. Deshalb drückt sich ja gerade mancher Gewissenhafte vor der Entscheidung »richtig oder falsch«, weil er sich selber nicht traut. Aus Furcht, sich zu überheben und fremden Freiheitsanspruch zu beschädigen, wird dem Bösen nicht Einhalt geboten. Dabei vergiftet es die Luft.
Alexander Pechmann: Sieben Lichter. Roman. Steidl Verlag. 161 S., geb., 18 €.
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