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Katalonien wählt unter spanischer Aufsicht
Bei den von Madrid auferlegten vorgezogenen Neuwahlen kommt es zum Duell zwischen Separatisten und Unionisten
Es liegt eine gespannte Erwartungshaltung am Mittwoch über Katalonien. Offiziell ist der Wahlkampf vor den aus Spanien verordneten Wahlen am «Besinnungstag» vor dem Wahltag am Donnerstag verboten. Erstmals seit dem Ende der Diktatur 1975 wird an einem Wochentag gewählt. Die Sonne scheint wie üblich, während zur Wahl stehende Politiker von Wahlplakaten herablächeln. «Viel zum Besinnen gibt es nicht», sagt Noemí an einer Metrostation in Barcelona, während sie ihre Jacke wegen kühler sechs Grad zuknöpft. «Die Entscheidungen sind längst gefallen, die übergroße Mehrheit weiß, ob sie den Unabhängigkeitsprozess unterstützt oder sich dagegen stellt.»
Die gelbe Schleife am Revers zeigt, auf welcher Seite die Frau im mittleren Alter steht - auf der Seite der Unabhängigkeitsbefürworter. Viele Menschen tragen sie aus Protest darüber, dass die Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Minister der katalanischen Regierung inhaftiert oder ins Exil gedrängt wurden, weil sie nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 27. Oktober die Katalanische Republik ausgerufen haben. In den Wahllokalen dürfen die Schleifen nicht getragen werden. Auch wer einen gelben Schal, Mütze, Jacke oder Hose trägt, darf nicht wählen, habe der spanische Wahlrat bestimmt, empört sich Roser Pineda.
Für Noemí, die neben dem Studium in einem Restaurant im Zentrum bedient, ist nur unklar, welche der Parteien sie wählt, die für die Unabhängigkeit eintreten. Wie die pensionierte Lehrerin Pineda zweifelt sie nur, ob sie die linksradikale CUP oder die Republikanische Linke (ERC) wählt. Die ERC soll nach der letzten am Mittwoch in Andorra veröffentlichten Umfrage die Wahlen klar gewinnen. Während die Anarchistin Pineda zur CUP tendiert, damit sie «weiterhin den Unabhängigkeitsprozess vorantreiben und darin die soziale Frage vertieft», tendiert die Noemí zur ERC.
Sie begründet das mit dem Wahlgesetz, das große Parteien bei der Sitzverteilung klar bevorteilt. Da der ERC-Spitzenkandidat Oriol Junqueras inhaftiert ist, könne dessen Stellvertreterin Marta Rovira dann Präsidentin werden. «Es ist Zeit, dass eine linke Frau regiert», sagt Noemí, auch wenn sie den Christdemokraten Carles Puigdemont weiter für ihren «legitimen Präsidenten» hält.
Puigdemont, Spitzenkandidat seiner Liste «Junts per Catalunya» (Gemeinsam für Katalonien), konnte anders als Junqueras wenigstens aus dem Exil per Liveschaltung über Video am Wahlkampf teilnehmen. Er würde in Spanien verhaftet, käme er nach Katalonien zurück. Auch der Zweite der Puigdemont-Liste, der ehemalige Präsident der großen Katalanischen Nationalversammlung (ANC), sitzt im Gefängnis. Jordi Sànchez ist, wie der Präsident von Òmnium Cultural Jordi Cuixart, sogar schon seit 65 Tagen inhaftiert. Den Wahlkampf unter absonderlichen Umständen schloss der mutmaßliche Wahlsieger ERC am Dienstag ab. Rovira, ihr Team und etliche Anhänger fuhren in die spanische Hauptstadt Madrid zu einer Kundgebung vor dem Gefängnis Estremera, wo ihr Parteichef sitzt. Rovira erklärte, bevor sie ihn als Anwältin besuchte: «Wir wollen klar und deutlich sagen, dass er wegen seiner politischen Vorstellungen inhaftiert ist, die nicht respektiert, sondern verfolgt werden.» Junqueras sei auch im Knast, da es der beste Kandidat ist, um Katalonien in die Zukunft zu führen.« Sie forderte Spanien auf, den Konflikt demokratisch zu lösen. Sie fügte aber an, man habe gelernt, »dass der Staat zu allem bereit sei«.
Während Noemí und Roser hoffen, dass die Unabhängigkeitsparteien gemeinsam erstmals auf über 50 Prozent der Stimmen kommen und wieder die Parlamentsmehrheit erhalten, hoffen die spanischen Unionisten darauf, dass die Ciutadans (Bürger) unter Inés Arrimadas die Wahlen gewinnen. Die in Katalonien gegen die Unabhängigkeitsbewegung gegründete marktliberale Partei hofft auf eine »nützliche Stimmabgabe«, dass sie auch viele Stimmen der rechten spanischen Volkspartei (PP) und der Sozialdemokraten (PSC) erhält. Die in Spanien regierende PP dürfte nun sogar schwächste Partei im Parlament werden. Die Wahlurnen müssten gefüllt werden, denn es gäbe eine »historische Chance«, um Unabhängigkeitsbestrebungen zu beenden, meint Arrimadas. »Am Donnerstag ist das Verfallsdatum des Prozesses«, erklärte sie zum Wahlabschluss im Stadtteil Barcelona Nou Barris, das einst eine PSC-Hochburg war.
Den Anhängern von Podem Catalunya, dem Ableger der spanischen Linkspartei Podemos (Wir können es), kommt eine Schlüsselrolle zu. Die hat sich an der Unabhängigkeitsfrage gespalten. Der kürzlich im Streit zurückgetretene katalanische Generalsekretär Albano-Dante Fachin ist zuletzt auf Veranstaltungen der ERC und der CUP aufgetreten. Seine ehemalige Formation zu wählen, bedeute das Projekt der spanischen Rechten gegen die Demokratiebewegung zu unterstützen. Vor zwei Jahren kam der Vorläufer Catalunya si que es pot (Katalonien kann es) auf neun Prozent der Stimmen. Podem könnte bei einem Patt zum Königsmacher werden.
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