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Mayotte leidet weiter
Präsident Macron besucht französische Insel im Indischen Ozean und verhängt Staatstrauer
Der seit 90 Jahren schlimmste Zyklon hat die meisten der primitiven Hüttensiedlungen auf Mayotte, die vorwiegend von Einwanderern von der benachbarten Inselgruppe der Komoren bewohnt wurden, dem Erdboden gleich gemacht. Nachdem bereits Anfang der Woche der amtierende Innenminister Bruno Retailleau in das Überseedepartment gereist war, 160 Soldaten und Feuerwehrleute mitbrachte und 800 weitere ankündigte, kam am Donnerstag Präsident Emmanuel Macron zu einem zweitägigen Besuch. Er hatte dafür auf die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Rates in Brüssel verzichtet und Bundeskanzler Olaf Scholz gebeten, ihn dort zu vertreten.
Macron brachte in seiner Regierungsmaschine, mit der er vor der Landung einen Rundflug über die Insel unternahm, um sich ein Bild von der Lage zu machen, ein Team von 20 Ärzten, Krankenpflegern und Zivilschutzmitarbeitern mit sowie vier Tonnen Lebensmittel und Hygieneartikel. Nach der Ankunft auf der Insel gab er bekannt, dass am Montag, dem 23. Dezember, im Gedenken an die Opfer des Wirbelsturms ein Staatstrauertag stattfindet. Alle Franzosen seien aufgerufen, um 11 Uhr Ortszeit der Opfer in Mayotte zu gedenken.
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit Sie Wasser, Nahrung und Strom bekommen«, versicherte Macron den Inselbewohnern. Die Telefonverbindungen und der Internetzugang würden in großen Teilen von Mayotte bereits in den kommenden Tagen wiederhergestellt sein. Ein Feldlazarett, welches das beschädigte Inselkrankenhaus entlasten soll, wird in den nächsten Tagen einsatzbereit sein. Um Spekulation mit knappen Lebensmitteln zu verhindern, wurden per Dekret die Preise bis auf Weiteres festgeschrieben. Ferner kündigte der Präsident energische Maßnahmen gegen die irreguläre Einwanderung an, die seinen Worten nach die sozialen Verhältnisse und die Sicherheit auf Mayotte untergrabe.
Macron musste sich aber auch Kritik an den Versäumnissen der Behörden sowie der öffentlichen Infrastruktur- und Versorgungsunternehmen anhören. So beklagten sich Gesprächspartner beim Präsidenten, die Menschen in Mayotte seien nicht hinreichend vor dem Wirbelsturm gewarnt worden. Macron kündigte einen Entschädigungsfonds an, über den auch nicht versicherten Menschen Hilfsleistungen zukommen sollen.
»Wir werden zusammen wieder aufstehen«, schrieb Macron im Onlinedienst X. Er versuchte den Bewohnern Mut zu machen, und versprach einen zügigen Wiederaufbau »nach neuen Kriterien«. Die extreme Wohnungsnot ist eines der gravierendsten Probleme in Mayotte. Doch viele Bewohner der Hüttensiedlungen wollen auf die Erfüllung solch vager Versprechen nicht warten und haben bereits begonnen, ihre Wellblechhütte wieder aufzubauen.
Noch größer als die Sorge um ein Dach über dem Kopf ist zur Zeit der Mangel an Trinkwasser und Lebensmitteln. Das Trinkwassernetz zu reparieren, von dem nur noch die Hälfte funktioniert, dürfte Wochen oder Monate dauern. Die Versorgung der Insel mit Hilfsgütern wird zudem dadurch erschwert, dass der Kontrollturm des Flugplatzes zerstört ist und daher die Landung von Zivilmaschinen vorläufig unmöglich ist.
Die Hilfslieferungen aus Frankreich kommen daher zunächst im 1000 Kilometer entfernten Überseedepartement Réunion an und werden dann durch einen Pendelverkehr von täglich acht Flügen mit Militärmaschinen nach Mayotte weitertransportiert. Dafür können die großen A400M-Frachtmaschinen der Armee noch nicht eingesetzt werden, sondern vorläufig nur kleine Flugzeuge vom Typ Casa mit einer Transportkapazität von 18 Personen oder drei Tonnen Fracht.
Solange die Fluglotsen mit ihren Computern noch provisorisch in Zelten sitzen und davor ein Notstromaggregat röhrt, dürfte sich daran wenig ändern. Auf dem Rückflug nehmen die Maschinen Verletzte aus Mayotte mit, denn das einzige Krankenhaus dort funktioniert nur mit knapp der Hälfte seiner normalen Kapazität. Hier wie auch in anderen Bereichen des Lebens macht sich besonders das Fehlen von Strom bemerkbar. Beispielsweise ruht der Verkehr weitgehend, weil es nur wenige Tankstellen gibt, die über ein Notstromaggregat verfügen und damit ihre Pumpen betreiben können. Das hier abgegebene Benzin wird streng rationiert.
Durch fehlenden Strom ist auch fast das gesamte Telefonnetz und der Zugang zum Internet lahmgelegt. Dadurch ist es für die Behörden nach wie vor extrem schwierig, Informationen über die Lage in den verschiedenen Ortschaften der Inselgruppe und ihren Bedarf zu sammeln sowie Hilfe zu organisieren. Hinzu kommt, dass die Reparaturteams für Strom, Telefon, Internet und Wasser nur mühsam vorankommen, weil überall die Straßen durch umgestürzte Bäume blockiert sind, die erst zersägt werden müssen.
Um auch eine zur Versorgung übers Meer einzurichten, wurde auf Réunion von den Behörden ein Frachter der französischen Reederei CMA CGM requiriert. Er hat inzwischen 2000 Container nach Mayotte transportiert, wobei die eine Hälfte voller Plastikflaschen mit Trinkwasser war und die andere mit Konserven und anderen unverderblichen Lebensmitteln.
Wie der Schulunterricht nach den Weihnachtsferien wieder anlaufen soll, ist indes völlig ungewiss. Die Hälfte der Schulen hat der Sturm zerstört und die andere Hälfte dient Obdachlosen als Notunterkunft.
Wie hoch die Zahl der Todesopfer gewesen ist, kann niemand sagen. Offiziell sind es 31, aber dabei handelt es sich um die Toten aus dem Krankenhaus und anderen Einrichtungen des staatlichen Gesundheitswesens. Die wirkliche Zahl wird auf mehrere hundert, vielleicht sogar mehr als 1000 Opfer geschätzt. Aber da die Bevölkerung Mayottes vorwiegend aus sunnitischen Muslimen besteht, bei denen Tote innerhalb von 24 Stunden beigesetzt werden sollen, ging das meist an den Behörden vorbei.
Es gibt in Frankreich viel Mitgefühl und Solidarität mit den Einwohnern von Mayotte, doch vor Ort auch bedenkliche Reaktionen auf die Naturkatastrophe und ihre Folgen. So haben bereits 500 der 7000 Lehrer, Krankenpfleger und anderen Staatsbeamten, die hier angestellt sind, ihre Versetzung weg von Mayotte beantragt und das damit begründet, dass unter den jetzigen Bedingungen »keine normale Arbeit mehr möglich« sei. »Es ist beschämend, wie gerade Berufskategorien, die dringend gebraucht werden und die den Idealen der Republik besonders nahe stehen sollten, in solch kritischen Tagen nur an sich denken«, empört sich Estelle Youssouffa, unabhängige Abgeordnete aus Mayotte in der Pariser Nationalversammlung.
»Wir werden zusammen wieder aufstehen.«
Emmanuel Macron Präsident von Frankreich
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