Warum die AfD kein Strohfeuer ist

Robert D. Meyer zieht eine Bilanz zum Aufstieg der völkisch-national dominierten Rechten und wagt einen Ausblick

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundestagsvize Thomas Oppermann (SPD) überraschte am Mittwoch mit einer interessanten Entdeckung, was sich seit dem Einzug der AfD in das Hohe Haus seiner Beobachtung nach geändert hat. »Die AfD tritt morgens geschlossen an, und alle anderen sind auch da: Sie kommen früh und zahlreich ins Plenum, wohl auch, um der AfD nicht das Feld zu überlassen«, so Oppermann gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Bemerkenswert, dass ein SPD-Politprofi indirekt einräumt, dass es die Fraktionen bisher mit der Anwesenheit ihrer Mitglieder bei Debatten nicht allzu genau nahmen. Obwohl es für das Fernbleiben einzelner Parlamentarier gute Gründe gibt (Wahlkreistermine, Ausschusssitzungen), befeuert Oppermann mit seinem »Geständnis« einen Teil jener AfD-Erzählung, wonach es in Berlin dringend eine »Alternative« zu den etablierten Parteien geben müsse. Man fragt sich, warum es erst einer stramm rechten Partei im Bundestag bedurfte, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Parlamentarismus kein Selbstzweck ist und von allen Akteuren täglich gelebt werden muss.

Apropos gelebter Parlamentarismus: Inzwischen sitzt die Rechtsaußenpartei in 14 Landtagen, ihr Einzug in die politischen Vertretungen von Bayern und Hessen im nächsten Jahr ist angesichts aller Umfragen nach derzeitigen Stand wohl ein unausweichliches Übel. Bitter ist diese Erkenntnis aus mehreren Gründen: Die AfD hat es nach ihrer Gründung 2013 geschafft, innerhalb von nur vier Jahren zu einer etablierten Größe im politischen Betrieb zu werden.

Dass es sich bei dieser Partei um kein Strohfeuer handelt, legen verschiedene Indikatoren nahe: In den meisten Umfragen, egal ob auf Bundes- oder auf Landesebene, würde der Partei der (Wieder)-Einzug in die Parlamente gelingen. Selbst in jenen Bundesländern, wo sich AfD-Vertreter heillos zerstritten, spalteten und zerlegten, stehen die Rechten gut da.

Eindrücklichstes Beispiel bildet Sachsen: Mit ihren bescheidenen 9,7 Prozent aus der Landtagswahl 2014 ist die AfD im Freistaat klar unterbewertet. Umfragen sehen sie konstant deutlich über 20 Prozent, bei der Bundestagswahl landete die Partei sogar knapp vor der CDU, die in Sachsen seit 27 Jahren als unangefochtene Instanz galt.

Wohlgemerkt sprechen wir von jenem AfD-Landesverband, der durch den Weggang von Ex-Parteichefin Frauke Petry den größten Flurschaden erlitt. Doch die Sympathisanten der Neuen Rechten ficht das nicht an, womit der zweite Grund klar ist, warum es sich bei dieser Partei nicht nur um ein kurzlebiges Phänomen handelt: Die AfD ist mehr als eine Partei, die Protestwähler anzieht. Sie bietet jenen eine politische Heimat, die reaktionäre Einstellungen über Geflüchtete, die multikulturelle und zugleich bunte Gesellschaft teilen. Dass das Potenzial der AfD bei etwa einem Fünftel der Bevölkerung liegt, wussten wir dank Wilhelm Heitmeyers Studienreihe »Deutsche Zustände« schon vor 15 Jahren, also lange bevor überhaupt nur jemand an die AfD denken konnte.

Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis eine inzwischen sogar völkisch-nationalistisch dominierte Partei sich hierzulande festsetzen würde. Warum auch sollte Deutschland innerhalb Europas eine Ausnahme bilden? Unzweifelhaft tat die Politik des permanenten Sozialabbaus der letzten Jahrzehnte ihr Übriges zum Aufstieg der Rechten, doch ist dies ebenfalls nur ein Puzzleteil von vielen, um den AfD-Erfolg zu erklären.

Dies verrät dann auch, warum alle anderen Parteien noch keine adäquate Antwort auf die Entwicklung gefunden haben. Während sich die Linken darüber zerlegen, ob das Eintreten für offene Grenzen weiterhin richtig ist, schwenkte eine ehemals liberale Bürgerrechtspartei auf den Weg jenes Rechtskurses ein, auf dem sich die Konservativen längst befinden. Deren Beteuerung, keine Partei rechts von sich dulden zu wollen, ist allenfalls noch als Lippenbekenntnis zu verstehen. In mehreren Bundesländern stimmte die CDU bereits Anträgen der jeweiligen AfD-Fraktion zu, zuletzt geschah dies in Brandenburg, davor im Magdeburger Landtag. Damals schlussfolgerte AfD-Fraktionschef André Poggenburg durchaus richtig: Inhaltlich stehe die CDU in Sachsen-Anhalt »weitaus näher bei der AfD als bei der Grünen-Fraktion«.

Insofern ist die Frage nicht mehr ob, sondern wann die Union ihre Hemmung ablegt und auch Koalitionen mit AfD nicht mehr ausschließt. Ließe sich darauf wetten, wäre ein Tipp auf Sachsen nicht die schlechteste Wahl. Entsprechende Andeutungen gab es 2017 genug.

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