Alles »easy« für die Lufthansa
Ein wesentlicher Teil des europäischen Luftverkehrs wird derzeit radikal neu geordnet
Es gibt in dieser Woche auch gute Nachrichten in der Luftfahrt. Erstens: Die Internationale Fernmeldeunion beschloss am Dienstag, verschiedene Überwachungssysteme zusammenzuführen. So können demnächst die Positionen aller sich weltweit in der Luft befindlichen rund 59 000 Passagierflugzeuge nach einheitlichem Standard automatisch erfasst werden. Ein totales Verschwinden von Maschinen, wie das bei Flug von Malaysia Airlines MH 370 im März 2014 geschah, soll sich nicht wiederholen. Die zweite gute Nachricht: Auf Flügen von Eurowings gibt es noch bis zum Heiligabend auf einer täglich neu ausgewählten Kurzstrecke nicht nur »stimmungsvolle Weihnachtsmusik« sondern auch einen Becher Glühwein pro Passagier. Die dritte gute Nachricht: KLM-Piloten können ab Januar »oben ohne« herumlaufen. Der Erlös ihrer Uniformmützen geht an notleidende Kinder.
Wer gehofft hatte, dass unter den Top-Drei-Nachrichten auch ein Sinken der Flugpreise in Deutschland vermeldet werden kann, wird enttäuscht. Die Lufthansa nutzt das Ausscheiden der insolventen Air Berlin aus dem Wettbewerb gnadenlos aus. Nicht nur, um weiter zu gesunden, sondern auch, um sich Kraft anzufressen, denn die Luftfahrt bleibt ein gigantischer Wachstumsmark. Jährlich rund 3,8 Milliarden Fluggäste werden aktuell gezählt, bis 2035 sollen es 7,2 Milliarden sein. Noch ist nicht klar, wer in Europa und von Europa aus den goldenen Schnitt macht. Die Zeiten roter Zahlen sind für die Kranich-Airline vorbei. Sie hat sich hat sich - entgegen aller Unkenrufe - gegen staatlich subventionierte Golf-Gesellschaften wie Emirates ebenso behauptet wie gegen Allesfresser aus dem Billigsegment wie Ryanair und Easyjet. Dazu beigetragen hat vor allem die konzerneigene Billigairline Eurowings. Dass die sich so frei entwickeln konnte, ist zu einem Gutteil dem extrem langen Siechtum und dann doch plötzlichen Tod von Air Berlin zu verdanken. Nun nur keine Unruhe oder gar Arbeitskämpfe, betet man in den Lufthansa-Chefetagen. Weshalb es jetzt doch Übergangsregeln für neu einzustellende Piloten beispielsweise aus der Air-Berlin-Verfügungsmasse geben soll. Eurowings und die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit bestätigten am Mittwoch, dass sie einen »Tarifvertrag Wachstum« abgeschlossen haben.
Was haben die Passagiere davon? Weniger Flüge gerade im innerdeutschen Bereich haben zu einer Steigerung der Ticketpreise geführt. Auch der von den Förderländern festgesetzte Ölpreis mag das Seine beigetragen haben. Schlechte Nachricht für Umweltschützer: 30 Prozent Plus - in der Weihnachtszeit sogar mehr - sind keine guten Aussichten für das Klima. Zumal die Konkurrenz Bahn derzeit kaum mehr Passagiere bewältigen könnte. Auch der von der Autobahnmaut befreite Fernbusanbieter Flixbus profitiert von der Air-Berlin-Pleite - trotz aller Abgasdiskussionen.
Angeblich, so sagen vor allem Lufthansa-Manager, werden abgeschreckte Flugreisenden in Kürze wieder an Bord sein, weil die Preise wieder sinken. Bald könnte dann sein, wenn das Angebot wieder wächst, also wenn Lufthansa alle von Air Berlin übernommenen Maschinen in der Luft hat und der britische Billigflieger Easyjet ins innerdeutsche Geschäft gestartet ist. Nach der Air-Berlin-Pleite bietet der britische Billigflieger - jenseits aller Brexit-Bewegungen - ab Januar wöchentlich 250 Flüge zwischen Berlin sowie Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München an. Auch die irische Ryanair will sich sich offenbar in das innerdeutsche Geschäft wagen. Dafür spricht, dass die Gesellschaft sich inzwischen mit Gewerkschaftsvertretern an einen Tisch setzen will, um über akzeptable Tarife für die Piloten zu reden.
Findet sich ein Käufer für die mit Air Berlin bruchgelandete Tochter Niki, könnte noch mehr Wettbewerb entstehen. Neben Niki-Gründer Nikki Lauda, Condor und Ryanair hatte zunächst das Logistikkonsortium aus Zeitfracht und Nayak Interesse bekundet. Die zwei Dienstleister schluckten bereits die Air-Berlin-Technik. Ryanair, Zeitfracht und Nayak zogen ihre Angebote allerdings noch vor Ende der Bieterfrist zurück, wie am Donnerstag bekannt wurde.
Die Schweizer Privat Air bietet ebenfalls und lockt mit der Übernahme aller Arbeitsplätze. Interessant ist, dass Privat Air im sogenannten Wet-Lease - der Miete eines Flugzeugs einschließlich Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung - für die Lufthansa-Tochter Eurowings fliegt. Lufthansa selbst hat ihr Interesse zurückgezogen. Bis Donnerstagmittag sollten alle Angebote auf dem Tisch des österreichischen Insolvenzverwalters liegen.
Wer glaubt, dass damit alle Turbulenzen benannt sind und umflogen werden können, hat Alitalia noch nicht auf dem Zettel. Auch diese einst so stolze italienische Fluggesellschaft, die als Dienstairline auch den jeweiligen Papst fliegt, ist am Ende. Man hatte sich auf lange Übernahmestreitereien eingestellt. Doch so wie die deutsche Regierung Lufthansa die Übernahme von Air Berlin erleichtert hat, so bietet die italienische Staatsführung dem Kranich aus Deutschland spezielle »Landerechte«. Indem sie die Übernahmepläne von Easyjet und dem US-Fonds Cerberus einfach ablehnte. Im Januar, so behauptet die italienische Zeitung »Il Messaggero«, könnte die Übernahme perfekt sein. Ein Knackpunkt besteht noch. Lufthansa will nur 6000 Mitarbeiter behalten. Die Frage ist, wie sich die Gewerkschaften die restlichen 2000 Beschäftigten abhandeln lassen.
Gelingt der Deal, wäre der Airport Rom-Fiumicino nach Frankfurt am Main, München, Wien und Zürich der fünfte Hub des deutschen Luftfahrtgiganten. Doch bei dieser Marktaufteilung könnte auch Easyjet ein paar Brosamen aufpicken. Lufthansa würde Slots, also Start- und Landerechte, an den Airports Rom-Fiumicino und Mailand-Linate abgeben. Man darf erwarten, dass das große Fressen nach notwendigen Jahren der Konsolidierung weitergeht. Dann beginnen womöglich auch auf den Langstrecken die erwarteten Luftkämpfe unter den Großen. Wer dazugehört, entscheidet sich gerade.
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