Mit dem Fahrrad im Wind der Veränderung
Nordkorea - Einblicke in ein fast unbekanntes Land
Fast drei Jahrzehnte hatte ich das fernöstliche Land als Journalistin bereist, der letzte längere Besuch war 1989 zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Pjöngjang. Nun hatte ich mich entschlossen, mit einer Reisegruppe das Land zu besuchen, das hierzulande entweder gar nicht oder fast nur in Negativberichten vorkommt. Der Start fiel genau in die heiße Phase, in der Nordkorea eine Wasserstoffbombe gezündet hatte und in Südkorea gemeinsame Militärmanöver mit den USA stattfanden. Säbelrasseln auf beiden Seiten.
Mit einer 20-köpfigen neugierigen Gruppe flog ich von Peking nach Pjöngjang, gab bei der Einreise die geforderte Gesundheitserklärung ab und holte meinen Koffer vom Band. Dann die erste Geduldsprobe: Der Zoll interessierte sich intensiv für mitgebrachte Bücher, Zeitungen und Fotos. Das dauerte, aber in der Wartezeit erfuhr ich von einem Flughafenmitarbeiter, dass dieser neue Flughafen 2015 nach dreijähriger Bauzeit in Betrieb genommen wurde.
Touristen kommen vor allem aus China und Russland, weniger aus Europa. Natürlich alle mit koreanischen Betreuern. Ohne koreanische Sprachkenntnisse wären sie verloren. Man darf allerdings auch nicht allein im Lande reisen, es muss alles mit koreanischen Betreuern organisiert werden.
Nach allen Kontrollen, auch das Handy wurde untersucht, begannen wir die Fahrt mit dem Bus in die 24 Kilometer entfernte Hauptstadt Pjöngjang, in der mittlerweile drei Millionen Menschen leben. Erster Eindruck: Alles ist supersauber, die angrenzenden Felder sind mit Reis, Sojabohnen, Mais, Hirse und neuerdings auch mit Kartoffeln bestellt.
Völlig überrascht bin ich, als ich Fahrräder entdecke, denn die gab es bis 1989 überhaupt nicht in Nordkorea. Jetzt wird überall in Stadt und Land und unterwegs auf den Verbindungsstraßen geradelt. Oft hochbepackt, denn das Fahrrad ist zugleich ein wichtiges Transportmittel.
In Pjöngjang gibt es eine Fahrradfabrik, von hier kommen die meisten, alles sogenannte Damenfahrräder. Billig sind sie nicht, umgerechnet zwischen 50 und 60 Dollar kosten sie. Der monatliche Durchschnittsverdienst liegt jetzt bei 80 bis 100 Dollar. Jede Familie habe ein bis zwei Fahrräder, sagte man uns; auch einige E-Bikes und Motorroller sind zu sehen, aber nur wenige Autos.
Die Einfahrt nach Pjöngjang lässt mich staunen, zahlreiche der einstigen mir gut bekannten Wohnviertel sind abgerissen, moderne Hochhäuser und ganz neue Straßenzüge entstanden. Wir wohnen in einem 48-stöckigen Hotel mitten auf der Yanggak-Insel im Tädong-Fluss. Überall immer wieder Grünanlagen, Kinderspielplätze.
An vielen Hauswänden sehen wir Klimaanlagen und Solarmodule, aber weder die bei uns so verbreiteten Graffiti noch verdreckte Straßen. Da es mit der Stromversorgung nach wie vor Probleme gibt, greift man auf Sonnenenergie zurück. Solarpaneele sind in Städten und auch Dörfern allgegenwärtig. So können sich Haushalte besser mit Energie versorgen. In der Hauptstadt entdecken wir auch eine E-Bike-Ladestation, die ebenfalls mit Sonnenenergie gespeist wird. Noch etwas Neues: Straßenbahnen fahren quer durch die Hauptstadt!
Die Menschen sind gut gekleidet, viele Frauen tragen jetzt auch Hosen als Alltagsbekleidung, und das Handy ist aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken, aber ohne Internetanschluss. Den gibt es nur bei der Post oder in Hotels.
Völlig neu für mich sind auch viele private Imbiss-Stände, an denen Getränke, Eis, Kekse, Obst, Bienenhonig oder kleine Snacks angeboten werden. In den Dörfern wird häufig direkt vom Fahrradständer herab etwas verkauft. Genauso gibt es seit einiger Zeit in den Städten Bauernmärkte, auf denen Genossenschaftsbauern, die Parzellen von circa 100 Quadratmeter privat bewirtschaften, Gemüse, Obst oder Fleisch anbieten.
Auffällig sind unterwegs kleine Ziegenherden, die an Wegrainen grasen. Die Ziegenzucht wird vom Staat gefördert. Nicht der Milch oder der Milchprodukte wegen - so etwas mögen die Koreaner genauso wenig wie andere Ostasiaten -, die Ziegen sind für die Fleischversorgung gedacht.
Andere hier gehaltene Haustiere sind nach wie vor Schweine, Kaninchen, Hühner und auch sogenannte Nutzhunde, die ebenfalls gegessen werden. Wir haben den Eindruck, dass es jetzt ausreichend Lebensmittel im Lande gibt. Die Kartoffel- und Maisernte sei gut gewesen, erfahren wir. Und die meisten Leute auf den Straßen sehen gut genährt aus.
In der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Tschonsam in der Nähe der Stadt Wonsan am Ostmeer - bei uns als Japanisches Meer bekannt - erzählt uns die Vorsitzende, dass sie sich neben Reis- und Maisanbau vor allem auf den Anbau von Persimonen (Khaki-Früchten) konzentrieren. Überall im Dorf und ringsherum stehen üppige Persimonenbäume voller Früchte, die wir auch probieren konnten. Hier ist auf großen Plätzen Mais zum Trocknen ausgebreitet, so wie wir das schon unterwegs an den Straßenrändern gesehen hatten. Jedes Stück urbaren Bodens wird landwirtschaftlich genutzt.
Unterwegs sehen wir Lkw mit Holzvergaser. Anstelle von Traktoren, die ich früher häufig auf den Feldern beobachten konnte, werden jetzt Ochsengespanne stärker eingesetzt. Der Treibstoffmangel sei eine der Auswirkungen der UN-Sanktionen gegen Nordkorea, hören wir.
Es ist nicht abzusehen, wie es mit den jüngst beschlossenen Sanktionen weiter gehen wird. Erstmalig halten sich auch China und Russland an den UNO-Beschluss. Korea verfügt nicht über Erdöl, das die beiden Nachbarländer China und Russland in reichem Maße haben, aber nun offensichtlich nicht mehr liefern. Es ist zu befürchten, dass auch hier Sanktionen vor allem die einfachen Leute treffen werden.
Auf den Straßen fallen neue Plakate mit Raketen und der Inschrift »Die Antwort Koreas« auf. »Ja, die Raketen und auch die Wasserstoffbombe sehen wir als Garantie für unsere Sicherheit«, sagt mir einer unserer Betreuer. Die Koreaner hätten erlebt, wie es Irak und Libyen ergangen sei, als sie keine entsprechenden Waffen mehr hatten, um sich zu verteidigen. Dann wurden diese Länder angegriffen. »Und wir Koreaner wissen seit den Kriegsjahren 1950-53, was es heißt, von amerikanischen Bombenteppichen überzogen zu werden. Wir wollen keinen Krieg und betrachten unsere Waffen als Abschreckung zur Verhinderung eines Krieges.« Wir hatten keine Gelegenheit, über dieses Problematik mit anderen Koreanern zu sprechen, aber ich vermute, dass viele ähnlich denken.
Wir fuhren mehr als 2000 Kilometer mit dem Bus durch das Land, und konnten uns schon ein Bild davon machen, wie es in vielen Landesteilen aussieht. Die Felder gut bestellt, alles sehr sauber, die Straßen, auch die Autobahn stammen aus den 70/80er Jahren, und auf manchen ruckelte es manchmal erheblich.
Wir machten auch einen Abstecher nach Hamhyng, der Industriestadt am Ostmeer, an deren Wiederaufbau nach dem verheerenden Korea-Krieg Baufachleute aus der DDR beteiligt waren. Sie errichteten nicht nur über 5200 Wohnungen, Schulen, Kindergärten und eine wichtige Brücke sondern bildeten Tausende koreanische Baufacharbeiter aus. Bei einem Bummel durch die Stadt wies uns die Reiseführerin auf die sanierten Häuser aus jenen Jahren hin und sagte, sie werde nie die solidarische Hilfe der DDR vergessen.
Am Nationalfeiertag erlebten wir große Tanzpartys auf Plätzen in Pjöngjang, fotografierten vieles, bekamen aber immer auch die Hinweise - keine militärischen Objekte bzw. Soldaten oder »negative« Dinge zu fotografieren. Zu letzteren gehörten zum Beispiel Ochsengespanne.
Wir aßen koreanische Spezialitäten in kleinen Restaurants, die es vor Jahrzehnten überhaupt nicht gab und erfreuten uns an den vielen Läden mit kunstvollen, geschmackvollen Souvenirs. Allerdings hielten wir nie koreanisches Geld in unseren Händen, wir konnten mit Euro, Dollar oder dem chinesischen Yuan bezahlen. Anders geht es für Ausländer nicht. In Panmunjom an der Demarkationslinie zu Südkorea blickten wir in den Raum, in dem 1953 der Waffenstillstandsvertrag zwischen der Demokratischen Volksrepublik Korea und den USA unterzeichnet wurde (Südkorea war nicht Verhandlungspartner), sahen die Grenzbaracken, in denen es kaum noch Verhandlungen gibt. Oberstes Ziel, so der diensthabende Offizier, seien die Sicherung des Friedens auf der Koreanischen Halbinsel und der Abschluss eines Friedensvertrages. Auch er betonte, dass Nordkorea die Atomwaffe in seinen Händen nicht als Angriffswaffe, sondern als Sicherheitsgarantie betrachte.
Zum Programm gehören stets Besuche der zahlreichen im Lande vorhandene Gedenkanlagen für den Partisanenkampf bis zur Befreiung 1945 und der Monumente zur Verehrung der bisherigen drei Staatsführer sowie des Mausoleums für Kim Il Sung und dessen Sohn und Nachfolger Kim Jong Il. Losungen, die den jetzigen Führer Kim Jong Un und seine Vorgänger hochleben lassen, sind landesweit an Häusern zu finden. Aber neben diesen Plakaten sah ich erstmalig auch Werbungen für Autos so für den seit 2002 in der Nähe von Pjöngyang produzierten Pkw Pyonghwa (Frieden).
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