Lernen aus der Geschichte

Hans-Gerd Öfinger über das Revolutionsjahr 1918 und die Rolle der Gewerkschaften

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 2 Min.
2018 lädt mit seinen Jahrestagen zum Rückblick auf die Geschichte ein. Für die Arbeiterbewegung war das durch Kriegsende und Revolution geprägte Jahr ein Meilenstein.

Ausgehend vom Kieler Matrosenaufstand erfasste damals die spontane Bewegung der Arbeiter- und Soldatenräte die Industriezentren. Die Monarchie war am Ende. Die bisher im Schatten stehende arbeitende Klasse mischte sich ein. Arbeitskämpfe und Generalstreiks zeugten bis 1923 von ihrer potenziellen Macht. Die ADGB-Gewerkschaften erlebten einen stürmischen Zustrom. Rasch stieg ihre Mitgliederzahl von 966 000 auf über acht Millionen.

Die Furcht der Herrschenden vor dem Verlust von Macht und Besitz war durchaus begründet. Daher erfüllten sie uralte Forderungen der Arbeiterbewegung wie die Einführung des Acht-Stunden-Tages, der Arbeitslosenversicherung, der Tarifautonomie und der paritätisch besetzten Schlichtungsausschüsse. Die Gewerkschaftsspitzen fühlten sich nach der Bildung einer Zentralarbeitsgemeinschaft mit den Arbeitgebern (ZAG) als »Sozialpartner auf Augenhöhe«.

Sinn und Zweck dieser ZAG umriss der Stahlmanager Jakob Reichert Ende 1918. »Es kam darauf an: Wie kann man das Unternehmertum von der Sozialisierung, Verstaatlichung und nahenden Revolution bewahren?«, plauderte er aus dem Nähkästchen. »Angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen: die Gewerkschaften.«

Die Gewerkschaftsspitze hoffte, dass die neue »Sozialpartnerschaft« ewig halten würde. Sie betrachtete Arbeiterräte und den Ruf nach Sozialisierung der Betriebe mit Argwohn. Dabei hätte eine direkte Demokratie mit einer vergesellschafteten Wirtschaft die Errungenschaften der Revolution abgesichert. Denn dankbar waren die Eliten nicht. Ab 1923 wurden die Reformen beseitigt. Der Faschismus zerschlug später im Interesse des Kapitals die Arbeiterbewegung .

Auch die heutige Form der betrieblichen Mitbestimmung über Betriebsräte ist kein Ausdruck »sozialpartnerschaftlicher Vernunft«, sondern letztlich ein Nebenprodukt der Rätebewegung. Schon die Geburt des ersten Betriebsrätegesetzes 1920 stand im Zeichen eines Blutbads, als die preußische Polizei vor dem Reichstag in die unbewaffnete Menge schoss. 100 000 Berliner Arbeiter forderten für die Betriebsräte volles Kontrollrecht über die Betriebsführung statt begrenzter Mitwirkung. Auch dies sollten wir nicht vergessen, wenn ab März bundesweit Betriebsratswahlen stattfinden. Wer aus der Geschichte lernen will, muss weiter denken: Mitbestimmung verteidigen, Selbstbestimmung erkämpfen! Wir wollen nicht nur ein Stück Brot, sondern die ganze Bäckerei!

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