- Politik
- Spitzenposten bei Bündnis 90/Die Grünen
Cem Özdemir tritt in die zweite Reihe
Noch-Grünen-Chef kandidiert nicht für Fraktionsvorsitz / Bundestagsabgeordnete wollen offenbar Flügelproporz beibehalten
Berlin. Partei-Chef Cem Özdemir wird bald keinen Spitzenposten mehr bei Bündnis 90/Die Grünen inne haben. In einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« erklärte er, bei der Wahl für den Fraktionsvorsitz nicht anzutreten. »Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptieren«, so Özdemir. Lange war spekuliert worden, ob der Realo am Freitag gegen Anton Hofreiter kandidieren wird, der den linken Parteiflügel vertritt. Eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz schloss Özdemir ebenfalls aus.
Ein Meinungsbild in der Fraktion ergab Parteikreisen zufolge, dass Özdemir allenfalls auf 40 Prozent der Stimmen gekommen wäre, wie die Zeitung weiter berichtete. Die Mehrheit geht demnach an Hofreiter. »Ich verheimliche keineswegs, dass ich gerne Fraktionsvorsitzender geworden wäre«, sagte Özdemir, dessen Amtszeit als Parteivorsitzender Ende Januar endet.
Der Blick der Bundestagsfraktion richte sich jedoch »derzeit eher nach innen als nach außen«, sagte er. »Da zählt nicht primär politische Leistung oder ein erfolgreicher Bundestagswahlkampf.« Die Grünen-Bundestagsfraktion kommt am Donnerstag zu einer zweitägigen Arbeitsklausur zusammen, die Neuwahl der Fraktionsvorsitzenden findet am Freitag statt.
Künftig will sich Özdemir als einfacher Abgeordneter Gehör verschaffen. »Dazu zählt auch mutig zu sein und nicht jedes Papier in fünfzehn bis achtzehn Fassungen zum langweiligen Konsens weichzuspülen«, sagte er.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte dem Berliner »Tagesspiegel« (Sonntagsausgabe), Özdemir werde »eine herausragende Rolle« bekommen, in der er für die Grünen als »gewichtige Stimme« agieren könne. »Es wäre dumm, wenn wir sein Talent nicht nutzen«, so Göring-Eckardt. »Er ist in der Lage, weit über die grüne Klientel hinaus Menschen anzusprechen.« Göring-Eckardt verweist so indirekt auf den aktuellen ARD-Deutschlandtrend, in dem Özdemir hinter Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) auf Platz zwei im Ranking der beliebtesten Politiker landete.
Auf dem Parteitag in Hannover sagte Özdemir, er unterstütze die Kandidatur von Robert Habeck und Annalena Baerbock. Beide werden eher dem Realo-Flügel der Partei zugerechnet. Ihre Wahl wäre ein Novum, weil bei dem Duo an der Parteispitze bislang immer der Flügelproporz eingehalten wurde. Mit Blick auf seine Ko-Vorsitzende Simone Peter, die zur Wiederwahl antreten will, sagte Özdemir, es sei Zeit »für neue Ideen an der Parteispitze«. Peter kämpft dafür, dass im Bundesvorstand der Grünen weiterhin unterschiedliche Strömungen repräsentiert sind. »Wir sind eine progressive, links verortete Kraft«, erklärte Peter zu Jahresbeginn. Es seien überwiegend Parteilinke, die Themen wie Verteilungsgerechtigkeit in den Fokus rückten. Auch Hofreiter gehört zum linken Flügel der Grünen.
Auch Göring-Eckardt sprach sich erneut für Baerbock und Habeck aus. Sie halte die Brandenburger Bundestagsabgeordnete und den Kieler Umweltminister für ein »sehr gutes Angebot«. »Wir sollten nicht immer in Proporzen denken«, fügte Göring-Eckardt hinzu.
Für den Fall, dass die Sondierungen für eine große Koalition scheitern und Neuwahlen kommen, geht Özdemir davon aus, dass er wieder als Spitzenkandidat ins Rennen gehen werde. Die Basis habe ihn neben Göring-Eckardt zum Spitzenkandidaten gekürt, sagte er. »Das gilt unverändert.« AFP/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.