Von der Ausnahme zur Regel

Große Koalitionen sind Zweckbündnisse. Vorzeitig beendet worden sind solche Regierungen aber noch nie

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Politiker von Union und SPD vor Wahlen auf die Große Koalition angesprochen werden, dann fällt ihre Meinung einhellig aus. Diese Konstellation müsse in der Parteiendemokratie eine Ausnahme bleiben, sagen sie. In diesen Worten schwingt die Sehnsucht nach längst vergangenen Zeiten mit, als Konservative und Sozialdemokraten noch die große Mehrzahl der Wählerstimmen auf sich vereinigten und mit einem jeweils kleineren Partner ein Bündnis eingehen konnten oder sogar alleine regierten.

Doch diese Epoche scheint unwiederbringlich vorbei zu sein. Das erste schwarz-rote Zusammengehen im Bund war 1966 noch als Übergangslösung bis zur Bundestagswahl 1969 gedacht, weil die FDP die Koalition mit der Union verlassen hatte. Eingefädelt wurde die Koalition vom damaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger (früher NSDAP, dann CDU) und dem sozialdemokratischen Außenminister Willy Brandt.

Hürden auf dem Weg zu Schwarz-Rot
  • 7. Januar: Die Sondierungsgespräche haben um zwölf Uhr mit einer Plenumsrunde im Willy-Brandt-Haus, der Berliner SPD-Bundeszentrale, begonnen. Anschließend sollten die unterschiedlichen Themenbereiche in einzelnen Arbeitsgruppen beraten werden.
  • 8. Januar: Die zweite Sondierungsrunde findet in der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, statt. Arbeitsbeginn für die je 13-köpfigen Sondierungsteams von CDU, CSU und SPD ist neun Uhr.
  • 9. Januar: Wieder geht es um neun Uhr los, Sondierungsort ist dieses Mal aber die bayerische Landesvertretung in Berlin. 10. Januar: Ab neun Uhr wollen die Sondierer erneut im Konrad-Adenauer-Haus zusammensitzen.
  • 11. Januar: Die wohl entscheidende Runde findet im Willy-Brandt-Haus statt. Die Gespräche starten um zehn Uhr - dafür könnten die Vertreter von CDU, CSU und SPD bis in die Nacht um ein Ergebnis ringen. Geplant ist eine gemeinsame Abschlusserklärung. Mitte Januar: Die Gremien der Parteien werten das Sondierungsergebnis aus. Vor allem für die SPD-Spitze wird es voraussichtliche eine schwierige Aufgabe, die Landesverbände und Mitglieder von der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu überzeugen. Die Bedenken gegen eine Neuauflage der Großen Koalition wiegen bei den Sozialdemokraten schwer.
  • 21. Januar: Die SPD hat für dieses Datum einen Sonderparteitag in Bonn einberufen, auf dem die Delegierten auf Grundlage einer Empfehlung des Parteivorstands über den Eintritt in formelle Koalitionsverhandlungen entscheiden sollen. Gibt der Parteitag grünes Licht, könnte es schnell gehen mit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Wie lange diese dauern, ist dann aber ungewiss.
  • Februar/März: Die SPD-Spitze plant eine Mitgliederbefragung über einen möglichen Koalitionsvertrag. Dies war auch im Jahr 2013 so praktiziert worden. Damals betrug der Abstimmungszeitraum eine Woche. Erst wenn die SPD-Basis grünes Licht gegeben hat, könnten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Bundestag wiedergewählt und die Minister ernannt werden. Es könnte also durchaus Ostern werden, bis eine Einigung steht. Der Ostersonntag fällt auf den 1. April. AFP/nd

Vier Jahrzehnte später sind Regierungsbildungen im Bund schwieriger geworden. Im Mitte-links-Spektrum musste sich die SPD die Wählerschaft nicht mehr nur mit den Grünen, sondern später auch mit der PDS beziehungsweise der LINKEN teilen. Ein rot-rotes oder rot-rot-grünes Zusammengehen kam im Bund wegen der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien nicht zustande. Im September ist mit der AfD eine neue Partei in den Bundestag eingezogen, mit der niemand koalieren will. Zudem deutet sich an, dass die FDP den Kurs einer nationalliberalen Protestpartei einschlagen wird. Dass die Freien Demokraten die Sondierungen mit Union und Grünen scheitern ließen, ist ein Hinweis für diese Entwicklung. Somit wird eine Große Koalition oder einer andere Kooperationsform von CDU, CSU und SPD in Zukunft immer wahrscheinlicher.

Vorzeitig beendet worden ist eine solche Koalition noch nie. Angela Merkel hat sich als Kanzlerin bereits in zwei Legislaturperioden auf eine schwarz-rote Mehrheit im Bundestag gestützt. In den vier Jahren Regierungszeit zwischen 2009 und 2013 hatte sie weitaus größere Probleme mit ihren Koalitionspartnern von der FDP als in den Jahren davor und danach mit den Sozialdemokraten. Es war nicht nur die inhaltliche Nähe, die Schwarz-Rot zum Lieblingsbündnis der Kanzlerin machte. Hinzu kommt, dass Union und SPD auch im Bundesrat eine dominante Rolle gespielt hatten. Eine wirkliche Gegenmacht in der Länderkammer mussten sie nie fürchten. In der vergangenen Legislatur mussten allerdings die Grünen, die in vielen Ländern mitregieren, bei zustimmungspflichtigen Gesetzen mit ins Boot geholt werden.

Doch in einer Großen Koalition kann es auch große Verlierer geben. Derzeit scheinen sich alle Bedenken, die von Konservativen und Sozialdemokraten gegen ein solches Bündnis geäußert wurden, zu bewahrheiten. Die Stimmenverluste von Union und SPD weisen darauf hin, dass sie für die Bürger immer schwieriger voneinander zu unterscheiden sind. Ein weiteres Argument lautet, dass durch eine Große Koalition die politischen Ränder und die kleinen Parteien gestärkt werden. Auch dies scheint sich mit dem Aufstieg der rechten AfD bestätigt zu haben. Zudem hatte die FDP stark zugelegt, Linkspartei und Grüne ein wenig hinzugewonnen.

Kurz nach der Wahlniederlage seiner SPD hatte Thomas Oppermann, der zu diesem Zeitpunkt Fraktionschef war, festgestellt, dass »unsere parlamentarische Demokratie vom Wettstreit politischer Alternativen und einem klar unterscheidbaren Angebot der großen demokratischen Parteien« lebe. Deswegen hatte sich die SPD zwischenzeitlich entschieden, in die Opposition zu gehen.

Bald wird man sich auch Gedanken darüber machen müssen, ob der Begriff Große Koalition für ein Zusammengehen von Union und SPD in jedem Fall noch angemessen ist. Denn die drei Parteien sind im Bundestag nicht mehr so übermächtig wie einst. Sie verfügen dort inzwischen über 399 von insgesamt 709 Sitzen. Zudem sind Union und SPD nicht mehr im gesamten Bundesgebiet die zwei stärksten Kräfte. Das gilt etwa für einige Bundesländer im Osten, wo sich die Linkspartei beziehungsweise die AfD auf den zweiten Platz hinter die CDU geschoben haben. Außerdem regiert in Baden-Württemberg seit dem Frühjahr 2016 faktisch eine Große Koalition aus Grünen und der CDU.

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