Steuergeschenke für Besserverdienende

Union und SPD haben in der Finanzpolitik in Teilbereichen eine Einigung erzielt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es zeichnet sich ab, dass Union und SPD im Falle einer Regierungsbildung Steuergeschenke an Besserverdienende verteilen werden. Nach einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« verständigten sich die Unterhändler der drei Parteien am Montag darauf, den Spitzensteuersatz künftig erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro greifen zu lassen. Der Spitzensteuersatz wird bisher ab rund 55.000 Euro erhoben. Er beträgt 42 Prozent. Überraschend ist diese Einigung nicht. Sie entspricht den Forderungen, welche Konservative und Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten erhoben hatten.

Nach einer Schätzung des Bundesfinanzministeriums vom Mai fielen vergangenes Jahr etwa 2,69 Millionen Steuerpflichtige unter den Spitzensteuersatz. Das klingt aber dramatischer, als es in Wirklichkeit ist. Denn die Regelung bedeutet lediglich, dass jeder Euro, der über der Grenze liegt, ab welcher der Satz greift, zu 42 Prozent versteuert wird. Es ist keineswegs das gesamte Einkommen der Menschen von diesem Steuersatz betroffen.

Strittig war zwischen Konservativen und Sozialdemokraten hingegen, wie die Steuersenkungen gegenfinanziert werden sollen. Die Union lehnt Steuererhöhungen für Besserverdienende kategorisch ab. Sie geht davon aus, dass sich die konjunkturelle Lage in der Bundesrepublik weiterhin gut entwickelt und dadurch die Gesamteinnahmen des Staates hoch bleiben werden. Nur unter diesen Voraussetzungen wären Steuersenkungen möglich, ohne den ausgeglichenen Haushalt zu gefährden.

Die SPD forderte hingegen, den Spitzensteuersatz um drei Prozentpunkte auf 45 Prozent zu erhöhen. Im Wahlprogramm der Sozialdemokraten war die Rede davon, dass dieser Satz ab 76 200 Euro zu versteuerndem Einkommen für Singles gelten solle. Insbesondere die CSU sträubt sich dagegen. Das Thema stand auch bei den Sondierungsgesprächen am Dienstag auf der Tagesordnung. Ob es zu einer Einigung kam, war bis Redaktionsschluss offen. Die Unterhändler wollen sich spätestens in der Nacht zum Freitag auf ein gemeinsames Papier einigen, in denen die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zusammengefasst werden.

Wenn sich die Sozialdemokraten bei der Reform des Spitzensteuersatzes durchsetzen sollten, könnte Parteichef Martin Schulz seiner Basis, die einer erneuten Großen Koalition skeptisch gegenübersteht, die neue Regelung als »Gerechtigkeitsprojekt« präsentieren. Auf der einen Seite würde man den ominösen Facharbeiter entlasten, der ungerechterweise den Spitzensteuersatz zahlt und auf der anderen Seite die Topverdiener etwas stärker belasten.

Dabei ist nicht bewiesen, dass viele Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen müssen oder dadurch enorme Einbußen erleiden. Auffällig ist, dass auch die neoliberale Lobbyorganisation Bund der Steuerzahler im zurückliegenden Wahlkampf auf einmal ihr Herz für die Facharbeiter entdeckt und mit Hinweis auf die angeblich hohe steuerliche Belastung dieser Menschen ebenfalls gefordert hatte, dass der Spitzensteuersatz erst später greifen dürfe.

Ein weiteres großes Projekt der Sondierer ist der Abbau des Solidaritätszuschlages. Sie wollen den Soli ab dem kommenden Jahr schrittweise abbauen. Hier liegt allerdings der Teufel im Detail. Die Union will den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer für alle Steuerzahler schnellstmöglich abschaffen. CDU und CSU haben in ihrem Wahlprogramm für diese Legislatur eine Entlastung von insgesamt rund vier Milliarden Euro versprochen.

Die Sozialdemokraten hatten hingegen angekündigt, den Zuschlag erst einmal nur für die »unteren und mittleren Einkommen« ab dem Jahr 2020 abzuschaffen. Das Entlastungsvolumen umfasse für diese Menschen etwa zehn Milliarden Euro. Dagegen sollen Bezieher hoher Einkommen den Solidaritätszuschlag nach den Vorstellungen der SPD zunächst weiterhin zahlen. Der Zuschlag solle dann in den nächsten Jahren stufenweise komplett abgeschafft werden.

Wenn sich Union und SPD hier auf einen Kompromiss einigen sollten, würden dadurch früher oder später vor allem Besser- und Spitzenverdiener entlastet werden. Denn Menschen mit niedrigeren Einkommen zahlen entweder keinen Soli oder nur geringe Beträge. Dagegen zahlen die einkommensreichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung etwa 62 Prozent des Aufkommens.

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