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Hat sich das Warten gelohnt?
Wie die Reaktionen auf die Sondierungsergebnisse von SPD und Union ausfallen
Union und SPD steuern auf eine Große Koalition zu. Nachdem die Sondierungsteams der Parteien am Freitag ein gemeinsames Papier erarbeitet hatten und ihren Gremien die Aufnahme von Koalitionsgesprächen empfohlen, stimmte auch der SPD-Vorstand zu. Nach einer laut Beobachtern kontroversen Debatte votierten 34 Mitglieder für schwarz-rote Koalitionsgespräche. Es gab sechs Gegenstimmen. Fünf Vorstandsmitglieder waren nicht anwesend.
»Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt haben«, sagte SPD-Chef Martin Schulz bei einem gemeinsamen Auftritt mit seinen Amtskollegen von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, im Willy-Brandt-Haus. Seehofer zeigte sich »hochzufrieden« über die Resultate. »Es gibt viele Beschlüsse, die einen Aufbruch untermauern«, meinte Seehofer. Kanzlerin Merkel resümierte, es handele sich »um ein Papier des Gebens und des Nehmens, wie es sein muss, das dann für unsere Gesellschaft einen breiten Bogen aufspannt«.
Ein Teil des linken SPD-Flügels will das Bündnis mit der Union verhindern. Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow sprach von einem »beschämenden Ergebnis«. Der SPD-Politiker warf seiner Parteiführung vor, dass es niemals die von ihr versprochenen »ergebnisoffenen Gespräche« mit CDU und CSU gegeben habe. »Es ging beispielsweise wohl nie um eine Minderheitsregierung oder andere Optionen«, monierte Bülow. Die Glaubwürdigkeit der SPD werde weiter leiden und die Partei zu Recht das Image einer Umfaller-Partei bekommen. Bülow kritisierte unter anderem, dass Schwarz-Rot keine Reform der Sozialsysteme und keine andere Finanzpolitik anstrebe.
Auch die Jusos sind dagegen, dass ihre Partei weiterhin den Kabinettstisch mit den Konservativen teilt. Sie kritisierten unter anderem die Einführung einer Obergrenze bei der Aufnahme von Geflüchteten, wie sie sich de facto im Ergebnispapier findet. Dort heißt es zu den Zuwanderungszahlen, dass diese ohne Berücksichtigung von Arbeitsmigranten »die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 nicht übersteigen werden«.
Allerdings ist die SPD-Linke in der Koalitionsfrage gespalten. »Ich bin der Meinung, wir sollten nun in konkrete Verhandlungen einsteigen. Eine endgültige Entscheidung läge dann bei allen SPD-Mitgliedern«, sagte Matthias Miersch, Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, der dpa. Er nannte einen möglichen Kompromiss, mit dem voraussichtlich die Delegierten beim Parteitag am 21. Januar in Bonn von der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union überzeugt werden sollen. Miersch sprach sich für eine »agree to disagree«-Klausel in der Zusammenarbeit mit CDU und CSU aus, »um parlamentarische Mehrheiten im Bundestag auch dann nutzen zu können, wenn man sich im Regierungsbündnis nicht einig ist«.
Politiker von Linkspartei und Grünen kritisierten einhellig das Sondierungspapier. »Es soll alles so weitergehen: Niedriglöhne, unsichere Jobs, Altersarmut. Und auf der Gegenseite: sprudelnde Dividenden und wachsende Millionärsvermögen«, monierte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Roth bewertete die Kompromisse in der Migrationspolitik als »unmenschlich«. »Bei den Rückführungszentren hat sich die CSU mit ihrer Politik der Kasernierung von Schutzsuchenden durchgesetzt«, sagte Roth. Und der Beschluss zum Familiennachzug sei »gleich doppelt grausam, wenn die völlig inhumane Aussetzung zunächst verlängert wird und dann allenfalls tausend Schutzbedürftige pro Monat nachziehen sollen«.
Als einen »mutlosen Auftakt« bewertete der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das schwarz-rote Ergebnis. BUND-Chef Hubert Weiger appellierte an die Sozialdemokraten, bei ihrem Parteitag die Beschlüsse zum Klimaschutz, zur Vertagung des Kohleausstieges, zum Umgang mit dem Dieselskandal und mit dem Unkrautvernichter Glyphosat sowie zur Tierhaltung wesentlich nachzubessern.
Der Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung war nur teilweise angetan. Positiv zu bewerten sei der Plan, das Kooperationsverbot in der Bildung abzuschaffen, damit auch der Bund mehr Verantwortung für die Qualität der Bildung übernehmen könne, teilte er mit. Insgesamt sah Fratzscher aber eine starke Klientelpolitik. »Die Steuersenkung für Reiche und die Rentenversprechen gehen zulasten der jungen Generation und der einkommensschwachen Menschen«, kritisierte er.
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