»Sitzreihe als Heimkino«
In einer Halle in Essen liegt zahlreiches Air-Berlin-Inventar und wartet auf die Versteigerung
Fein säuberlich ist das weiße Geschirr in die Schubladen der Trolleys einsortiert. In langer Reihe stehen die kompakten Wägelchen in der Lagerhalle am Stadtrand von Essen in Nordrhein-Westfalen. Wer eine Tasse oder Schüssel anhebt, kann den kleinen Schriftzug auf der Unterseite lesen: »airberlin«. Ein paar Meter weiter bedecken Plastikfolien blau gepolsterte Sitzreihen mit roten Gurten, daneben stapeln sich Kartons voller roter Schokoladenherzen.
Es sind massenweise Überreste der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. In der Halle in Essen warten die Gegenstände auf neue Besitzer. Das Hamburger Auktionshaus Wilhelm Dechow bringt sie ab Montag bei einer zweiwöchigen Online-Versteigerung unter den Hammer. Initiiert hat sie Air Berlin selbst, wie Unternehmenssprecher Ralf Kunkel bestätigt. »Damit soll noch etwas mehr Geld in die Insolvenzmasse fließen.« Wie viel Erlös man sich von der Auktion erwartet, sagt er nicht.
Am 27. Oktober hatte die hoch verschuldete Air Berlin den Flugbetrieb eingestellt. Bei den Mitarbeitern, die ihren Arbeitsplatz verloren, gab es nach der letzten Landung an diesem Tag viele Tränen, doch viele Passagiere zeigten auch ihre Verbundenheit mit den Crews. Den echten Air-Berlin-Fans unter ihnen bietet sich nun die Chance auf ein Erinnerungsstück an ein Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte.
Servierwagen, Doppel- und Dreisitzer oder Modellflugzeuge: »Jeder kann sich ein buntes Potpourri ersteigern«, sagt Toke Bransky, Bereichsleiter Marketing und Vertrieb bei Dechow Auktionen. Zunächst sind Memorabilien an der Reihe, in einer weiteren Auktion sollen später Flugzeugteile und -technik angeboten werden. Ein paar Dienstwagen sind schon im Dezember versteigert worden.
Wer mitmachen will, muss sich vorab online für die Versteigerung anmelden. Der Andrang ist groß: Bis Freitagmorgen hätten sich bereits knapp 50 000 Interessierte registriert, sagt Bransky. »Das haben wir so auch noch nicht erlebt.« Aber wer kauft altes Inventar eines Flugzeugs? Unter den Interessenten seien ehemalige Mitarbeiter der insolventen Airline, zudem »Hipster« oder flugzeugverrückte Planespotter, vermutet Bransky. »Es gibt ja auch Leute, die bauen sich Cockpits nach«, oder möchten eine »Sitzreihe als Heimkino«. Der teuerste Startpreis liegt bei 4000 Euro für ein großes Modellflugzeug im Maßstab 1:10. Neue und noch verpackte Decken, Kissen oder Kulturbeutel der Joop-Modemarke »Wunderkind« fangen bereits bei einem Euro an. In der Regel sollen die erfolgreichen Bieter die ersteigerten Sachen in Essen abholen. Gegen Kostenübernahme wird zum Teil auch ein Versand möglich sein.
Vor allem die roten Air-Berlin-Herzen aus Schokolade dürften Kultpotenzial haben. Auf dem Online-Auktionsportal Ebay verlangen Privatpersonen teils horrende Preise für die Süßigkeit.
Auch der Schweizer Schokoladenhersteller Lindt ist nach der Pleite der zweitgrößten deutschen Airline auf seinen Herzen sitzengeblieben. 120 000 Stück zählt der Restbestand nach Angaben des Konzerns. Sie werden nun tütchenweise für rund sieben Euro in Lindt-Shops in Berlin und Umgebung verkauft. Die Produktion in Aachen wurde eingestellt.
Das Auktionshaus Dechow hat insgesamt eine knappe Tonne Schokoherzen im Angebot. Ursprünglich sollten die süßen Souvenirs in Fünf-Kilo-Paketen versteigert werden, sagt Bransky. Nun habe allerdings jemand vorab ein Angebot für alle gemacht. Entschieden sei über das Schicksal der Herzen von Air Berlin aber noch nicht. dpa/nd
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