Numerus clausus teils verfassungswidrig

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

  • Lesedauer: 5 Min.

Zu dieser Entscheidung kam das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit Urteil vom 19. Dezember 2017 (Az. 1 BvL 2/14 und Az. 1 BvL 4/14). Dem Richterspruch zufolge muss unter anderem sichergestellt werden, dass Eignungsgespräche an Universitäten bundesweit in »standardisierter und strukturierter Form« stattfinden, um die Chancengleichheit der Studierenden zu wahren.

Die zentrale Vergabe der Studienplätze an Bewerber mit den besten Abiturnoten bezeichnete der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, als »sachgerecht«, solange die unterschiedliche Notenhöhe in den Ländern durch sogenannte Landesquoten ausgeglichen werde. In Thüringen kommen etwa 38,8 Prozent der Abiturienten auf einen Notenschnitt von 1,0 bis 1,9; im strengeren Niedersachsen sind es nur 17,2 Prozent. Die Vergabe nach Abiturnoten könne aber ihre »Berechtigung verlieren«, wenn nur noch die Stellen hinter dem Komma eines Einserabiturs über die Zuteilung eines Studienplatzes entscheiden, so Kirchhof.

Es ist dem Urteil zufolge »verfassungswidrig«, dass der Gesetzgeber die Hochschulen nicht dazu verpflichtet hat, Studienplätze über die Abiturnote hinaus noch nach einem weiteren »eignungsrelevanten Kriterium« zu vergeben. Bei der Studienplatzvergabe dürften etwa auch eine medizinnahe berufliche Qualifikation oder soziale Faktoren berücksichtigt werden.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete das Urteil als »eine gute Nachricht für viele hochmotivierte junge Menschen, denen der Zugang zum Arztberuf bislang de facto versperrt ist«. Die Ärzteschaft forderte bundesweit einheitliche Kriterien bei der Zulassung zum Medizinstudium. »Sogenannte weiche Faktoren wie Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikationsfreudigkeit können durch ein persönliches Auswahlgespräch festgestellt werden«, so Dirk Heinrich, Vorsitzender des Verbandes niedergelassener Ärzte NAV-Virchow-Bund.

Warum ist ein Auswahlverfahren überhaupt nötig?

Auf jeden Studienplatz für Humanmedizin in Deutschland kommen mehrere Bewerber. Allein zum aktuellen Wintersemester standen im Fach Humanmedizin knapp 9200 Studienplätzen fast 43 200 Bewerbern gegenüber. Zum Sommersemester 2017 waren es 62 000 Bewerber für 11 000 Studienplätze. Eine wichtige Rolle bei der Vergabe spielt die Abiturnote. Einen sogenannten Numerus clausus (NC, lateinisch für begrenzte Anzahl) gibt es für zahlreiche Studienfächer. Er gilt entweder regional oder bundesweit, wie bei Human-, Zahn- und Tiermedizin sowie Pharmazie.

Welche Rolle spielt die Stiftung für Hochschulzulassung?

Sie wurde 2008 gegründet und löste die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) ab. Bei ihr müssen sich künftige Studenten bewerben. Grundlage für die bundesweite Vergabe sind Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts aus den 70er Jahren, in denen das Teilhaberecht von Bewerbern an Studienplätzen und das Prinzip gleicher und sachgerechter Kriterien festgeschrieben worden waren.

Welche Wege führen zum Studienplatz in Humanmedizin?

Ein sehr gutes Abitur kann Bewerbern einen Studienplatz sichern. Nach den aktuellen Regeln werden 20 Prozent der Plätze nach diesem Kriterium (Bestenquote) vergeben. Aktuell ist ein Schnitt von 1,0 bis 1,2 dafür nötig. Weitere 20 Prozent werden nach Wartezeit vergeben. Inzwischen sind es 14 bis 15 Semester. 60 Prozent der Studienplätze können die Hochschulen in einem eigenständigen Auswahlverfahren vergeben. Aber auch dabei spielt die Abiturnote eine wichtige Rolle. Zusätzlich kann es Tests oder Gespräche geben. Bewerber können ihre Chancen durch zusätzliche Qualifikationen (etwa eine Ausbildung zum Rettungsassistenten) verbessern.

Was muss nun anders werden?

Grundsätzlich ist die Aufteilung in drei Säulen in Ordnung. Die Verfassungsrichter sehen aber in allen drei Bereichen Verstöße gegen das Grundgesetz. So ist eine verpflichtende Festlegung auf sechs Wunschstudienorte bei der Verteilung nach Abiturnote nicht zulässig. Sie könnte dazu führen, dass ein Bewerber an seiner Wunsch-Uni keinen Studienplatz bekommt, obwohl er anderswo zum Zuge gekommen wäre. Bei der Wartezeit muss es künftig eine Begrenzung geben, weil der Studienerfolg mit der Länge der Wartezeit abnimmt.

Schließlich müssen die Universitäten bei der Auswahl nach einem eigenen Verfahren in einer standardisierten und transparenten Weise vorgehen. Dabei darf nicht die Abiturnote allein ausschlaggebend sein. Weitere Kriterien der Eignung für den Arztberuf oder entsprechende Vorbildungen sollen berücksichtigt werden. Auch muss für eine Vergleichbarkeit der Abiturnoten aus unterschiedlichen Bundesländern gesorgt werden.

Wie geht es nun weiter?

Das Bundesverfassungsgericht fordert Gesetzesänderungen bis zum 31. Dezember 2019. Bis dahin dürfen die Bewerbungs- und Auswahlverfahren wie bisher weiterlaufen, obwohl sie teils gegen das Grundgesetz verstoßen.

Was macht die Politik?

Bund und Länder haben sich bereits im März auf den »Masterplan Medizinstudium 2020« verständigt. Danach sollen Mediziner schon während ihres Studiums näher an die Patienten herangeführt und die Allgemeinmedizin gestärkt werden. Um mehr Ärzte aufs Land zu bekommen, sollen die Bundesländer eine Quote von bis zu zehn Prozent der Studienplätze für solche Bewerber bereithalten können, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums und der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in unterversorgten ländlichen Regionen tätig zu sein.

Die Hochschulen sollen in ihren Auswahlverfahren neben der Abiturnote mindestens zwei weitere Kriterien berücksichtigen: soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie Leistungsbereitschaft der Studienbewerber. Zudem sollen sich eine Ausbildung oder Tätigkeit in medizinischen Berufen positiv auswirken.

Reichen die Studienplätze überhaupt?

Nein, deshalb plädiert die Bundesärztekammer für eine Aufstockung der Medizinstudienplätze um zehn Prozent oder etwa 1000 Plätze pro Jahr. dpa/nd

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