Eine versäumte Jobabsage erleichtert Diskriminierungs-Entschädigungszahlung

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Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 21. November 2017 veröffentlichten Urteil (Az. 8 AZR 402/15) entschied, läuft die gesetzliche Zweimonatsfrist zur Klage auf eine Diskriminierungsentschädigung erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber einen Bewerber ausdrücklich abgelehnt hat. Hüllt sich der Arbeitgeber stattdessen in Schweigen und bleibt untätig, haben Stellenbewerber mehr Zeit, ihre Ansprüche gerichtlich einzufordern.

Damit steht einem aus der Ukraine stammenden Deutschen eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von 3200 Euro zu. Der Mann war Student und hatte sich auf eine befristete Stelle als Bürohilfe beworben. Der Arbeitgeber, ein Verlag, benötigte für drei Monate eine Aushilfskraft. Diese sollte die Redakteure beim Verfassen eines Buches unterstützen.

Nach Stellenanzeige Muttersprachler gesucht

In der Stellenanzeige verlangte der Arbeitgeber von den Bewerbern »Deutsch als Muttersprache«, gute PC-Kenntnisse und erste Erfahrungen in der Büroarbeit. In seiner Bewerbung gab der Student an, dass er in der Ukraine geboren und dort in die Schule gegangen sei, er aber »exzellent« Deutsch spreche, auch wenn er kein Muttersprachler sei.

Der Arbeitgeber hüllte sich daraufhin erst einmal in Schweigen. Die zwei ausgeschriebenen Stellen wurden anderweitig vergeben. Nachdem der Zeitraum für die zweimonatige befristete Tätigkeit längst abgelaufen war, fragte der Student an, was aus seiner Bewerbung geworden sei. Ihm wurde mit dem Hinweis abgesagt, dass die Jobvermittlung die Absage wohl nicht weitergegeben habe.

Daraufhin machte der Student bei dem Verlag eine Diskriminierung wegen seiner Herkunft geltend. Der Arbeitgeber habe jemanden gesucht, der »Deutsch als Muttersprache« spreche. Damit würde er als Person mit Migrationshintergrund ausgeschlossen, obwohl er doch exzellent Deutsch könne.

Verlag sah im Vorgehen keine Diskriminierung

Der Verlag bestritt eine Diskriminierung. Die Entschädigungsklage sei aber ohnehin unzulässig, da die Diskriminierung nicht innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht wurde. Der Student habe erst fast vier Monate, nachdem der befristete Aushilfsjob vorbei war, auf die Diskriminierung hingewiesen.

Doch sowohl das Hessische Landesarbeitsgericht als nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt sprachen dem Kläger eine Diskriminierungsentschädigung zu. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schreibe vor, dass Ansprüche wegen einer Diskriminierung grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden müssen. Tarifvertragsparteien können auch andere Fristen vereinbaren. Im Falle einer Bewerbung fange die Zweimonatsfrist nach Zugang der Stellenabsage an zu laufen, befand das BAG.

Dem Bewerber müsse die Ablehnung so zugehen, »dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen«. Es sei auch nicht Aufgabe des Klägers nachzufragen, ob seine Bewerbung erfolglos war. Hier habe der Kläger frühestens Mitte September 2013 von der Absage erfahren. Weil er Anfang November Ansprüche wegen einer angeführten Diskriminierung geltend gemacht hatte, ist die gesetzliche Zweimonatsfrist gewahrt worden.

Gericht hielt Indizien für schlüssig

Der Student habe auch ausreichende Indizien für eine Diskriminierungsentschädigung vorgetragen. Weil der Arbeitgeber nur Bewerber mit »Deutsch als Muttersprache« gesucht habe, habe er Personen, auf die das nicht zutrifft, wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt. Denn mit dem Begriff »Muttersprache« würden in besonderer Weise nur Menschen eines Sprachraumes mit entsprechender ethnischen Herkunft angesprochen.

Einen sachlichen Grund für diese Benachteiligung habe es nicht gegeben, zumal die Anforderungen an die Aushilfstätigkeit auch mit »exzellenten« Deutschkenntnissen zu bewältigen sei. Ein »Muttersprachler« sei für die Tätigkeit nicht erforderlich, so das Gericht. Dem Kläger stehe daher eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von 3200 Euro zu. epd/nd

Suiziddrohung kann ein wichtiger Kündigungsgrund sein

Beschäftigte dürfen ihren Arbeitgeber nicht mit einer Suiziddrohung unter Druck setzen. Denn wird solch eine Drohung bewusst ausgesprochen, um eigene Interessen oder Forderungen am Arbeitsplatz durchzusetzen, stellt dies einen wichtigen Grund zur Kündigung dar.

Das geht aus einem Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 16. November 2017 (Az. 2 AZR 47/16) hervor.

Im verhandelten Fall ging es konkret um einen bei der Landesbaubehörde Hessen Mobil seit über 20 Jahren angestellten Straßenwärter. Im Frühjahr 2013 wurde er nach einer stationären psychosomatischen Behandlung als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter aus der Klinik entlassen.

Der Arbeitgeber führte daraufhin mit dem Mann zwei Gespräche zur betrieblichen Wiedereingliederung. Dabei äußerte der Beschäftigte, dass er künftig nicht mehr als Straßenwärter arbeiten wolle. Er verlieh seiner Forderung noch besonderen Nachdruck mit dem Hinweis: Er könne nicht ausschließen, dass er nicht wieder krank werde, er sich umbringe oder gar Amok laufen werde.

Der Arbeitgeber fühlte sich mit der Suizid- und Amokdrohung unter Druck gesetzt und kündigte dem Mann fristlos. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hielt die Kündigung für unwirksam.

Das Bundesarbeitsgericht urteilte aber, dass eine Suiziddrohung an sich einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen könne und der Arbeitnehmer auf diese Weise seine eigenen Interessen und Forderungen durchsetzen wolle. Es bestehe eine massive Störung des Betriebsfriedens. Die Erfurter BAG-Richter wiesen den Fall an das Landesarbeitsgericht zurück.

So habe das Landesarbeitsgericht in erster Instanz die Amokdrohung als »nicht glaubhaft« bewertet. Auf die Suiziddrohung oder die Ankündigung einer erneuten Krankheit sei es nicht eingegangen. Entlastend müsse das Landesarbeitsgericht aber auch noch berücksichtigen, dass der Kläger über 20 Jahre beanstandungsfrei in dem Betrieb gearbeitet hat. epd/nd

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