Jemandem eine Vergewaltigung zu wünschen, ist nicht Meinungsfreiheit

Konstantina Vassiliou-Enz von »No Hate Speech« im Gespräch über die Debattenkultur im Internet

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 5 Min.

Die »No Hate Speech«-Kampagne kämpft schon seit 2013 gegen Hass im Internet. Sehen Sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das seit 1. Januar gilt, als Erfolg auch für Ihre Arbeit?

Eher nicht. Natürlich ist es gut, dass überhaupt eine öffentliche Debatte über Hass im Netz geführt wird. Die Leute machen sich Gedanken, diskutieren darüber und das Thema wird ernst genommen. Aber unser Ziel ist ja eigentlich, in der Debatte die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt zu rücken. Und dies geschieht im Moment nur peripher. Die Grundidee von »No Hate Speech« ist, Menschenrechtsbildung zu betreiben und Leute für das Thema zu sensibilisieren. Das ist durchaus auch durch das NetzDG passiert. Aber uns geht es ja auch darum, die Leute aufzufordern sich einzumischen, Zivilcourage zu zeigen, nicht wegzuschauen und sich an die Seite der Betroffenen zu stellen. Das passiert im Moment eher nicht.

Zur Person

Das Nationale Komitee der „No Hate Speech“ Bewegung ist ein breites Bündnis aus Zivilgesellschaft und Politik, das sich Hass und Hetze im Netz entgegenstellt. Es ist Teil des internationalen “No Hate Speech Movements” des Europarates und wird  vom Neue deutsche Medienmacher e.V. koordiniert. Zu den Förderern gehören unter anderem das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die ZEIT-Stiftung,  Facebook Deutschland sowie Twitter Europe. 44 Länder beteiligen sich weltweit an der Bewegung. Konstantina Vassiliou-Enz ist Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher. Zuvor arbeitete sie unter anderem als Radiomoderatorin beim rbb. Mit ihr sprach für „nd“ Maria Jordan.

Ist das NetzDG Ihnen trotzdem in irgendeiner Form bei der täglichen Arbeit für die Kampagne nützlich?

Die »No Hate Speech« Kampagne fungiert nicht als Beschwerde- oder Meldestelle. Wir haben nach dem NetzDG bisher sehr selten und nur im Ausnahmefall Beiträge gemeldet. Es gab zum Beispiel Morddrohungen gegen uns, die wir dann gemeldet haben. Davon abgesehen screenen wir nicht durchs Netz und melden Hasskommentare, das ist gar nicht unsere Aufgabe.

Fordern Sie stattdessen MediennutzerInnen dazu auf, die Meldefunktion verstärkt zu nutzen, die das NetzDG vorsieht?

Nein, aber wir klären natürlich darüber auf, dass es eine Meldefunktion gibt. Die Mehrheit der Leute ist dafür, im Netz Diskussionen in einem normalen Ton und möglichst konstruktiv zu führen, anstatt sich gegenseitig zu beleidigen und zu bedrohen. Dass diese Personen weniger sichtbar sind, ist ganz üblich – wenn ein Artikel im »nd« erscheint, kommt als Reaktion öfter die Kritik als das Lob. Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Leute dazu aufzufordern, sich für einen zivilen Umgang miteinander einzusetzen. Wir finden nicht, jeder sollte sofort bei allem Möglichen Anzeige erstatten, aber wir informieren darüber, was tatsächlich gesetzeswidrig ist und wie Menschen sich wehren können, wenn sie zum Beispiel ernsthaft bedroht werden.

Sehen Sie die Verantwortung für Kommentare stärker bei den Betreibern, zum Beispiel von Sozialen Netzwerken, oder genauso bei den NutzerInnen?

Es war auch vor dem NetzDG so, dass die Betreiber von Sozialen Netzwerken sich darum kümmern mussten, Rechtswidriges, das gemeldet wird, zu löschen oder zu verbergen. Es ist nur sehr selten passiert. Mit dem NetzDG ufert das gerade eher aus.

Auch Inhalte von »No Hate Speech« wurden seit Anfang des Jahres gemeldet. Werden NutzerInnen durch das Gesetz motiviert alles zu melden, das nicht der eigenen Meinung entspricht?

Ehrlich gesagt, verstehe ich die Aufregung nicht so ganz. Es stimmt schon, es gibt Leute, die aus dem Melden von Beiträgen offensichtlich gerade ein Hobby machen. Aber die Frage ist zum Einen: Wie lange werden sie das tun? Zum anderen ist alles, was bei einer Meldung passiert, dass man eine Mail von Twitter bekommt. Gegen uns wird vereinzelt gemeldet, das verursacht ein bisschen Mail-Aufkommen. Aber unsere Beiträge sind alle noch da. Natürlich ist es total idiotisch, wenn Bilder von Künstlern wie »Barbara« gelöscht oder das Satiremagazin »Titanic« gesperrt wird. Allerdings hat eben das Sperren durch den Betreiber mit dem NetzDG wiederum gar nichts zu tun. Da geht im Moment viel durcheinander. Und deswegen würde ich auch sagen, dass das NetzDG so gesehen nicht besonders sinnvoll für uns als Kampagne ist.

Was ist Ihr Hauptkritikpunkt am NetzDG?

Wir begrüßen, dass das Thema Hass im Netz ernst genommen wird, auch juristisch. Aber dass man sich nicht gegen ungerechtfertigte Sperrungen wehren kann, geht nicht. Dadurch entstehen dann Debatten um Meinungsfreiheit und dieses Gefühl, die Meinungsfreiheit würde irgendwie beschränkt werden. Was mich ein bisschen wundert, ist, dass sich die Kritik nicht viel mehr an die Sozialen Netzwerke richtet. Das Gesetz ist total unausgegoren. Ich bin sicher, dass da noch nachgebessert werden wird. Wirklich etwas dazu sagen, kann man aber erst, wenn in einem halben Jahr die erste Auswertung der Sozialen Netzwerke vorliegt.

Halten Sie es für sinnvoll, dass die Privatunternehmen jetzt solche Auswertungen anfertigen müssen?

Dass die Unternehmen überhaupt darüber berichten müssen, wie sie mit solchen Meldungen umgehen, finde ich durchaus sinnvoll. Das war vorher völlig intransparent. Und dann sind es wohl eher Facebook und Twitter, die man kritisieren kann. Klassische Medien sind ja auch verantwortlich dafür, was auf ihren Websites passiert. Jeder Blog ist verantwortlich dafür, was auf seiner Seite passiert. Und genau so ist das mit großen Konzernen eben auch. Wenn die Sozialen Netzwerke in Zukunft zum Beispiel begründen müssten, warum sie etwas entfernen, würde das erstens für Transparenz sorgen und zweitens vielleicht bewirken, dass die Unternehmen qualifizierter entscheiden müssen, wie sie mit Beiträgen und Meldungen umgehen.

Was fordern Sie noch von der Politik, um Hass im Internet zu bekämpfen?

Das Thema Hate Speech muss ernst genommen werden. Menschen haben das Recht, sich diskriminierungsfrei zu bewegen und in Sozialen Medien zu äußern, ohne dafür auf übelste Art fertig gemacht zu werden. Ich glaube aber nicht, dass das mit Gesetzen in den Griff zu kriegen ist. Es gibt viele Menschen, die überhaupt nicht wissen, dass es nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist, jemandem eine Vergewaltigung zu wünschen. Es braucht tatsächlich mehr Aufklärung und vor allem eine zivile und humane Debattenkultur im Netz, ganz abgesehen davon was strafbar ist und was nicht. Meinungsfreiheit ist wichtig und es geht nicht darum, seine Meinung nicht sagen zu können. Aber man kann spielend leicht seine Meinung äußern, ohne die Rechte anderer zu verletzen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -