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Jenseits des magischen Denkens
Tom Strohschneider über eine SPD, die mit der Losung »NoGroKo« allein auch nicht wieder stärker wird
Die Krise der Sozialdemokratie findet (wie immer) unter medialen Anfeuerungsrufen statt: Wo es aus den Kommentarspalten erst rief, die SPD dürfe sich keinesfalls »staatspolitischer Verantwortung« verweigern, wurde nach der 56-Prozent-Abstimmung erklärt, dieselbe Partei, man sehe es ja, sei zur Erneuerung nicht fähig. Und in den Sozialen Netzwerken ist bei dem Thema ohnehin die emotionale Hölle los.
Was also ist passiert an diesem Sonntag? Eigentlich nicht viel. Weder wird man die Abstimmung zum Höhepunkt einer »Selbstverzwergung« stilisieren können, noch ist hier wirklich der letzte Ausweg zur »Erneuerung« verpasst worden. Der kommende Mitgliederentscheid wird das genauso wenig sein.
Die SPD ist auch nicht an diesem Sonntag »umgefallen«, meinte dieser Tage ein hellsichtiger Beobachter, sondern schon vor Jahren. Ihr Problem: Sie findet seither keinen Weg, wieder aufzustehen. Hätte ein anderer Ausgang des Parteitags diese Frage beantwortet?
Es gibt viele Gründe, sich gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen auf Basis des Sondierungsergebnisses auszusprechen. Die vielleicht wichtigsten heißen Dobrindt und Scheuer. Der inhaltlich inakzeptable Knackpunkt ist die Flüchtlingspolitik. Ansonsten geht das Sondierungspapier über den beklagenswerten Status quo nicht hinaus. Die SPD macht weiter wie seit Jahren, das ist ein Problem, na klar.
Nun kommt das Aber: Es grenzt an magisches Denken, von einem Gang in die Opposition zu erwarten, dieser allein schon leite den fälligen Prozess des Umsteuerns ein. »No᠆GroKo!« ist ein Schlachtruf, der jetzt viele, vor allem junge Leute bewegt. Das ist gut, das macht Hoffnung. Aber es ist nur die Schwalbe, zu einem sozialdemokratischen Frühling braucht es mehr.
Ist Fixierung auf die Opposition überhaupt sinnvoll? Die Partei hat von 2009 bis 2013 auch keine nennenswerte Bewegung in die »richtige« Richtung gemacht - trotz Opposition. Vor allem: Was ist denn die »richtige« Richtung? Auch wird man einmal fragen dürfen, ob eine Jamaika-Regierung wirklich besser für die wäre, um die es eigentlich geht - Leute, die eine andere Politik brauchen, damit ihr Leben besser wird. Es geht ja nicht nur um das Wohlbefinden der SPD.
Ein zweiter Punkt zum Bedenken: Zu Recht wird doch die Lage der Sozialdemokraten als Ausdruck eines größeren Ganzen beleuchtet - das Gros der Sozialdemokratie in Europa hat erhebliche Probleme. Das deutet darauf hin, dass man die Sache nicht auf die viel geforderte »Abkehr von der Agenda-Politik« reduzieren kann. Es ist kein SPD-Problem allein.
Also wird man die Sache auch nicht aufklären können, wenn man nur bis 1998 zurückschaut - der sozialdemokratische Modus ist schon viel länger kaputt: Die »Harmonisierung der Rentabilitätsinteressen des Besitzbürgertums mit den Verteilungsansprüchen der Arbeitnehmer dank üppiger Wachstumserfolge der Industrie« (Franz Walter) klappt in einem hyperglobalisierten Kapitalismus, der Überproduktion per Finanzialisierung zu beheben versucht und die weltweite Konkurrenz der Lohnabhängigen zu seinen Gunsten über die Grenzen des Nationalstaates hinaus befeuert, nicht so gut wie in der Sonderperiode nach dem Zweiten Weltkrieg, die als die gute alte sozialdemokratische Zeit gilt.
Wenn die SPD eine Lehre ziehen wollte, dann also vielleicht diese: Erst wer wieder eine überzeugende Konzeption zur sozialen Integration innerhalb des Kapitalismus und genug utopischen Überschuss hat, der über diesen hinausweist, kann auch bessere Sondierungsergebnisse holen. Eine solche Konzeption hat die SPD derzeit nicht. Danach müsste über personelle Erneuerung gesprochen werden, ebenfalls kein Selbstläufer. Derzeit heißt NoGroKo ja eher »Kevin allein zu Haus«.
Letzte Anmerkung: Der Konkurrenz links von Schulz und seinem verunsicherten Laden geht es kaum besser. Daran würde auch das Einsammeln der Kollateralschäden sozialdemokratischer Konflikte nichts ändern. Oft wird der SPD jetzt geraten, eine Politik zu verfolgen, für die eine andere Partei derzeit auch nur etwa zehn Prozent erhält. Warum soll das ein Erfolgsrezept für die SPD sein?
Tom Strohschneider war von 2012 bis 2017 Chefredakteur von »neues deutschland«.
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